Freitag, 30. Juni 2017

Der Affe und der Geizige

Einst hielt ein Geiziger sich einen Affen.
Ein Geizhals seyn, und den sich anzuschaffen,
Das scheint dir sonderbar; allein bedenke doch:
Gesellschaft kostet Geld, und Menschen können stehlen.
Auch hat ein Affe die Tugend noch:
Sein Herr darf nicht vor ihm verhehlen;
Er darf vor seinen Augen zählen,
Kein Mensch erfährts, er stört ihn nie darin,
Kurz die Gesellschaft war nach unsers Kaspar Sinn.

Der Glockenschlag rief einst den Mann zur Kirche hin;
Denn durch sein Fasten, Bethen, Singen
Dacht' er dem Himmel noch mehr Gaben abzuzwingen;
Da ließ er in der Eil den Schreibpult offen stehen,
Wo ihn sein Äff, im Gold oft hatte wühlen sehn.
Der Affe, der den Haufen Gold erblicket,
Und den die lange Weile drücket,
Sinnt sich gar bald ein Spielchen aus.
Er fängt ein Goldstück an hervorzulangen,
Und zielt, und wirft es durch die Fensterstangen.
Er wiederholt sein Spiel. Man sammelt sich ums Haus,
Man ruft: "Wirf auch ein Stück, mein Plätzchen!" fängt und springt,
Und wem mit Hund und Hand ein Fang gelingt,
Dem jagte ein andrer wieder ab.

Indem der Affe noch dies Schauspiel gab,
Kam unser Harpat, – »Was ist hier zu sehn!
worüber lacht man dann? - O wehe mir!
Mein schönes Geld! Verfluchter Räuber dir
Will ich den Kopf vom Rümpfe drehen,
Das Eingeweide will ich dir
Aus deinem Leibe reißen" – – "Mäßigt eure Hitze"
Sprach hier ein Greis; "das Geld ist euch so wenig nütze,
Als ihm. Er wirft es weg; Ihr sperrt es ein,
Wer mag von euch der Klügste seyn?"

Vaterländische Unterhaltungen
Ein belehrendes und unterhaltendes Lesebuch zur
Bildung des Verstandes, Veredlung des Herzens,
Beförderung der Vaterlandsliebe und gemeinnütziger Kenntnisse
für die Jugend Österreichs
von Leopold Chimani
Vierter Teil
Wien 1815, Im Verlage bey Anton Doll

Mittwoch, 21. Juni 2017

Die Krähe und der Fuchs

Die Heumacher hatten auf der Wiese eine Heugabel aufrecht in den Boden gesteckt vergessen.

Es kam der Frühling. Eine Krähe fand die Gabel und baute zwischen deren Zinken ihr Nest. Der Fuchs sah es und dachte nach, wie er die Krähenjungen aus dem Nest herauskriegen könne. Er begann, der Krähe Furcht einzujagen: »Das ist meine Gabel. Gib mir ein Kind aus dem Neste heraus. Gibst du es nicht, so hau ich die Gabelstange nieder!«

Die Krähe gab aber das Kind nicht her. Da ging der Fuchs unters Nest und schlug mit dem Schwanz an die Gabelstange. Die Krähe sah das und dachte: »Jetzt haut der Fuchs die Stange nieder und brennt sie mit Feuer!« Sie nahm ein Kind und warf es dem Fuchse hinunter. Auf diese Weise lockte ihr der Fuchs drei Kinder ab.

Endlich merkte die Krähe den Betrug und gab ihm keine Kinder mehr. Der Fuchs beschloß, die Krähe dafür umzubringen. Er legte sich in der Nähe des Krähennestes nieder und stellte sich tot. Auf solche Weise lag der Fuchs zwei Wochen lang an ein und derselben Stelle hingestreckt, so daß ihm auf der einen Seite schon die Haare ausgingen.

Jetzt erst kam die Krähe, um dem Fuchse die Augen auszuhacken. Da sprang der Fuchs vom Boden auf und zerriß die Krähe.

August von Löwis of Menar
Finnische und estnische Volksmärchen
Jena, 1922