Dienstag, 28. Februar 2017

Des Teufels Jahrmarktstand

Es hat einmal einer gedichtet, daß auf einem vornehmen Jahrmarkt der Teufel auch seine Hütten habe aufgeschlagen, nichts aber anders gehabt habe als Häut, deren er in Menge, gleichsam reißenderweis verkaufte. Dessentwegen hat einen Poeten der Fürwitz angespornt, zu sehen, was doch ein jedweder für Haut einkaufe und einkrame. Indem er also fortgeht, begegnet ihm ein altes Mütterle mit geschimmelter Barocka – ein rare Antiquität mit einem hölzernen Handpferd, wormit es den schwachen Füßen eine Beihülf leistete. Diese tragte etliche Haut unter den Armen, und soviel es konnte abnehmen, waren's lauter Karg-häut. Bald nach diesem sieht er kommen zwei junge Herren, die in ihrem Gespräch zuweilen ein lateinisch Wort darunter einmischten, worauf er sicher glaubte, daß sie studierte Gesellen wären. Die hatten gleichfalls ziemlich viel Haut eingekauft; und soviel er konnte erkennen, so waren's lauter Frei-häut. Unweit von diesen sah er einen, der ziemlich rot um die Nas, als war sein Gesicht aus preußischem Leder geschnitten; er haspelte gar seltsam mit den Füßen, und konnte man leicht wissen aus dem krummen Gang, daß er grad aus dem Wirtshaus komme. Der hat ebenfalls etlich Haut einkauft und ziemlich viel; es waren aber keine andern als lauter Voll-häut. Kaum als dieser aus den Augen gekommen, so vermerkte er, daß mit zugespitzten Schuhen wie die Starnitzel und Tüten eine Jungfrau dahergetreten, die aufgeputzt war wie der Palmesel acht Tag vor Ostern. Dieser gab er einen höflichen guten Morgen mit dem Beisatz, warum doch sie eifrig nach Haus eile, und bekam die Antwort, ihre gnädige Frau werde bald aufstehn, destwegen sie zum Dienst eile (es war dazumalen schon eine Viertelstund über 10 Uhr!). Diese hat sehr viel Haut vom Markt getragen, und waren's nichts als Stolz-häut. Andre tragten andre Haut: ein Fuhrmann oder Kutscher war daselbst, der hatte Grob-häut; ein Soldat hatte Frech-häut, ein Bettler Träg-häut. In Summa, allerlei Haut haben die Leut eingekauft. – Der gute Poet wollt doch auch wissen, bei was für Haut der Teufel den größten Gewinn habe; ist endlich hinter die Wahrheit kommen: daß der Satan sein bestes Intresse und Geschäftchen an – Gelegen-häut habe.

Obschon dieses Gedicht übel geschlicht', so ist doch wahr gewesen und wird auch wahr bleiben, daß die Gelegen-heit sehr viel Menschen zur Sünd und folgsam zum Teufel und Verderben bringt.

Abraham a Santa Clara
(1644 - 1709)

Freitag, 24. Februar 2017

Der Greis und der Tod

Ein alter armer Mann trug eine schwere Last von Reisigbündeln aus dem Walde nach seiner Hütte zu, um sich im nahen Winter damit gegen die Kälte zu sichern.
Der Weg war lang, seine Kraft gering. Müde und verdrußvoll warf er endlich seine Bürde nieder und seufzte: »Komm doch, o Tod, und befreie mich von einem so mühseligen Leben!«
Kaum hatte er seinen Wunsch ausgesprochen, so stand der Tod wirklich vor ihm und fragte noch einmal, was er verlange.
»O ich bitte, lieber Herr«, antwortete der erschrockene Greis, »ich bitte, habe die Güte und hebe mir diese Reisigbündel wieder auf den Rücken!«

Unnatürlich und ungerecht ist der Wunsch nach dem Tode. Denn zehnmal gegen einmal würden wir unzufrieden sein, wenn er erhört würde. Tief in unserem Herzen wohnt die Liebe zum Leben; eine starke Aufforderung für jeden, sein Leben solange als möglich zu erhalten.

Ertrage jegliche Beschwerden
Des Lebens standhaft als ein Christ,
Und wirke Gutes hier auf Erden,
Solange dir’s noch möglich ist.

Moritz Erdmann Engels (1767 - 1836)
Moral in Fabeln, Leipzig 1796
gefunden in: Aus alten Kinderbüchern, Fabel auf Fabel
Berlin 1989

Dienstag, 21. Februar 2017

Als die Hühner wählen durften


Elf oder zwölf Hühner saßen auf den Mist, blinzelten in der Sonne und kratzten sich. Es war heiß, und keines hatte Lust nach Würmern zu suchen oder Eier zu legen.
Sie gackelten aber zusammen.
»Wißt ihr, daß wir Hühner von heute an öffentlich dasselbe Recht haben sollen wie die Hähne?« fragte eine schöne, stolze Henne und reckte sich dabei, daß sie gleich um eine Handbreite höher schien. Die Hühner öffneten die rotgeränderten, verblüfften Augen.
»So,« sagte eines. Dann lauste es sich behaglicher als vorher.
»Mir ist das einerlei,« gackelte ein anderes, das elf Kücken um sich versammelt hatte, und jetzt noch spektakelte zur Erinnerung an die 15 Eier, welche es nacheinander gelegt. »Was geht mich die Politik an? Ich verstehe nichts davon.«
»Es ist nicht nur wegen der Politik,« sagte die schöne Henne. »Wir sollen auch sonst mitreden dürfen, zum Beispiel, wenn eine neue Pute für die Schule gewählt wird.«
Das interessierte nun die Hühner alle, denn die meisten hatten Kücken.
»Das ist sicher, daß ich die Bronzepute nicht wieder wähle,« kreischte ein dickes Huhn mit einem Federbusch zwischen jeder Zehe. »Sie hat allen meinen Kücken schlechte Zeugnisse gegeben.«
»Ich wähle sie auch nicht,« piepste das Perlhuhn. Es sah aus wie ein uraltes Jüngferchen mit einem weißpunktierten Schal, aus dem das kleine, nackte, neugierige Köpfchen hervorschaute.
»Ich wähle sie auch nicht.«
»Warum nicht,« fragte die schöne Henne.
»Weil sie in der Schule den Kücken gesagt hat, alle Hühner hätten ein Herz und eine Lunge und eine Leber, und andere unappetitlichen Sachen. Dafür schicke ich meine Jungen nicht zur Schule, daß sie solche Dinge lernen.«
»Da hast du recht,« stimmte auch eine Rouen-Ente bei, die so stark war, daß sie ihren Leib auf der Erde nachschleifen mußte. »Traurig ist das. Wir sind auf einen Punkt der sogenannten Aufklärung gekommen, den man schon, den man schon –»
»Unmoral nennen könnte,« half das Perlhuhn nach, und drehte sein unbedeutendes Köpfchen beifallheischend nach allen Seiten.
»Und die Poesie? Wo bleibt die, wenn unmündige Kücken schon wissen, was Hahn und Hühner inwendig haben? Nein, die Bronzepute wähle ich nicht,« schnatterte die Rouen-Ente.
»Ich auch nicht,« meinte eine bräunliche Laufente, die eilig und aufrecht angewatschelt kam, »was kann sie unsere Jungen lehren? Sie weiß selber nicht, was sich für Puten gehört. Sie legt sich ja nicht einmal platt auf die Erde, wenn der Truthahn vorüberrauscht, wie es sich für Puten schickt, sie sieht ihn herausfordernd an und bleibt stehen.«
»Usch,« riefen alle Hühner entsetzt und pluderten sich. Eine Weile schwiegen sie, drehten sich nach allen Seiten nachdenklich im Sand und schüttelten die Federn.
»Also, wen wählen wir?« begann darauf wieder eine. Es war eine weiße Henne, der Liebling des Hahns.
»Ich wähle die graue Pute,« sagte die Dicke mit den Federbüschen entschlossen, »wenn ich der Haber schicke, so macht sie allen meinen Hühnchen und Hähnchen gute Zeugnisse.«
»Sie ist häßlich, sie wird nie jemandem gefallen,« gackerte zufrieden die weiße Henne. »Ich wähle sie.«
»Sie weiß selber nicht, ob die Hühner Milz und Leber im Leib haben« piepste das Perlhuhn, »also kann sie die Kücken nichts Unanständiges lehren, wie es jetzt Mode ist. Ich wähle sie.« Es trippelte davon.
»Sie kann sich im Eierlegen bei weitem nicht mit mir messen, man wird sie mir nie vorziehen,« dachte die Laufente. »Ich wähle sie auch, warum nicht?«
»Schwimmen kann sie nicht wie ich,« prahlte die Rouen-Ente, »mir ist sie also recht.«
»Das alles geht die Schule gar nichts an,« rief unwillig das schöne Huhn.
»Aber uns,« kreischte die Dicke, »uns, meine Liebe, uns! Übrigens kann ich morgen nicht zur Wahl kommen. Ich lege von 11-1 Uhr.«
»Und ich fange morgen mit Brüten an,« gackerte eines.
»Und ich führe meine Jungen zum ersten Mal aus«, rief ein anderes.
»Ich gehe mit dem Gockel spazieren«, brüstete sich die Weiße, und riß einen Regenwurm, der sich verzweifelt wehrte, aus der Erde.
»Du kannst morgen nicht mit dem Gockel spazieren,« verwies sie das schöne Huhn. »Der Gockel geht morgen zur Wahl.«
»Ich kann auch nicht kommen,« rief die Rouen-Ente mit dem dicken Leib wichtig. »Ich werde morgen gebraten.«
Sie wußte nicht recht, war das ein angenehmes oder ein unangenehmes Ding, aber jedenfalls war es interessanter als das Wählen einer Schulpute.
»Und ich gehe und wähle,« rief das schöne Huhn, »und wenn ich ganz allein gehen muß.«
Und richtig, am nächsten Morgen war sie die einzige, die sich aufmachte, um die neue Pute für die Kückenschule zu wählen. Der Hahn war wahrhaftig mit dem weißen Huhn spazieren gegangen.
Da niemand da war, der der grauen Pute die Stimme hätte geben können, so wurde die Bronzene einstimmig gewählt.
»Es ist ein unerhörtes Unrecht,« sagten die Hühner des Hühnerhofes nachher zornig. »Was haben wir davon, daß wir wählen dürfen, wenn doch nicht die gewählt werden, die wir wollen?«
Sie steckten die Köpfe unter die Flügel, plusterten sich auf, und hielten ihr Mittagsschläfchen ab.

Lisa Wenger (1858 - 1941)
Amoralische Fabeln
Zürich, 1920

Freitag, 17. Februar 2017

Unicornu Verum

Es findet sich noch eine Materie, so in der Medicin beliebt ist, unter dem Nahmen: das wahre oder rechte Einhorn / Unicornu Verum, auch Unicornu Marinum genannt, das ist ein sehr langer, gestreiffter, und gleichsam gewundener Zahn eines gewissen Grön-Ländischen Wallfisches / siehet äusserlich gelb, inwendig aber weiß aus, wird von den Grönland-Fahrern zu uns bracht. Der Fisch, wovon es herrühret, wird Narhual genennet, weilen er sich vom Aaß und Todten-Cörpern, so dorten Nar heissen, ernehret, und von Thoma Bartholino in einem eigenen Buch beschrieben, daß er den andern Wallfischen nicht viel ungleich, und  ohngefehr 30. Ellen lang sey; zwey Floß-Federn auf den Seiten, 3. Hügel auf dem Rucken, und unten am Bauch nur einen habe. Aus dessen lincken Ober-Kienbacken ein langer Zahn, gerad vor sich heraus stehet, womit er das Eiß brechen soll: weswegen das sogenannte Horn öffters forn abgebrochen ist. Und gehet also dieser Zahn nicht aus der Nasen, wie Olearius l. c. redet, indem dieser Fisch keine Nase hat: und wie die andern Wallfische durch zwo Löcher, so oben in dem Nacken stehen, und nicht durch die Nase respirirt, auch das Wasser daraus in die Höhe wirfft: Sondern er sitzet in seiner Höhle, am obersten Kinnbacken, wie die Zähne an andern Thieren. Ob aber ein Fisch zwey solche Zähn habe, wie D. Jacobi in Mus. Reg. Haffn. muthmasset, auch dergleichen eines gesehen hat, muß die Erfahrung weiter lehren. Dieses aber ist gewiß, daß unten in dem grossen Horn oder Zahn offt noch ein kleiner stecket, wie Herr. Doct. Reusel in der Kunst-Kammer zu Stuckardt gesehen: Weßwegen Simon Urias lib. 1. Grœnlandiæ Antiq. fol. 285. nicht unbillig schliesset, daß diesem Wallfisch die Zähne, wie denen Menschen, ausfallen, und andere wachsen thäten.

Bräuner, Johann Jacob:
Physicalisch= und Historisch= Erörterte Curiositaeten.
Frankfurth am Mayn 1737.

Montag, 13. Februar 2017

Die schlauen Mädchen

Zwey Mädchen brachten ihre Tage
Bey einer alte Base zu.
Die Alte hielt, zu ihrer Muhmen Plage,
Sehr wenig von der Morgenruh.
Kaum krähte noch der Hahn bey frühem Tage:
So rief sie schon: Steht auf, ihr mädchen, es ist spät,
Der Hahn hat schon zweymal gekräht.

Die Mädchen, die so gern noch mehr geschlafen hätten;
Denn überhaupt sagt man, daß es kein Mädchen giebt,
Die nicht den Schlaf und ihr Gesichte liebt;
Die wunden sich in ihren weichen Betten,
Und schwuren dem verdammten Hahn
Den Tod, und thaten ihm, da sie die Zeit ersahen,’Den ärgsten Tod rachsüchtig an.

Ich habs gedacht, du guter Hahn!
Erzünter Schönen ihrer Rache
Kan kein Geschöpf so leicht entfliehn.
Und ihren Zorn sich zuzuziehn,
Ist leider eine leichte Sache.

Der arme Hahn war also aus der Welt.
Vergebens nur ward von der Alten
Ein scharf Examen angestellt.
Die Mädchen thaten fremd, und schalten
Auf den, der diesen Mord gethan,
Und weinten endlich mit der alten
Recht bitterlich um ihren Hahn.

Allein was halfs den schlauen Kindern?
Der Tod des Hahns solt ihre Plage mindern,
Und er vermehrte sie noch mehr.
Die Base, die sie sonst nicht eh im Schlafe störte,
Als bis sie ihren Haushahn hörte,
Wußt in der Nacht jetzt nicht, um welche Zeit es wär;
Allein weil es ihr Alter mit sich brachte,
Daß sie um Mitternacht erwachte:
So rief sie die auch schon um Mitternacht,
Die, später aufzustehn, den Haushahn umgebracht.
***
Wärst du so klug, die kleinen Pagen
Des Lebens willig auszustehn:
So würdest du dich nicht so oft genöthigt sehn,
Die grössern Uebel zu ertragen.

C.F. Gellert

Donnerstag, 9. Februar 2017

Kater und Sperling


Es flog ein Sperling auf die Düngerstätte eines Bauern. Da kam der Kater, erwischte den Sperling, trug ihn fort und wollte ihn verspeisen. Der Sperling aber sagte:
»Kein Herr hält sein Frühstück, wenn er sich nicht vorher den Mund gewaschen hat.«
Der Kater nimmt sich das zu Herzen, setzt den Sperling auf die Erde hin und fängt an, sich mit der Pfote den Mund zu waschen – da flog ihm der Sperling davon. Das ärgerte den Kater ungemein, und er sagte: »Solange ich lebe, werde ich immer zuerst mein Frühstück halten und dann den Mund waschen.«
Und so macht er es denn bis auf diese Stunde.

Anonymer Autor

Dienstag, 7. Februar 2017

Warum die Menschen schwatzen

Frag:
Warum die Menschen so gerne miteinander reden und schwatzen?

Antwort.
Weilen sie durch Reden untereinander Trost / und das durch unterschiedliche Gedancken bemüssigte Hertz zu erleichteren suchen.

Hilarius Salustius, Melancholini
wohl-aufgeraumter Weeg-Gefärth
Vorbringend
Lächerliche / aber kluge Fabeln / nutzliche Fragen / denckwürdige Geschichten / wundersame Würckungen der Natur / auch ersprießliche Sitten-Lehren.
Allen
Mit der Miltz-Kranckheit und Unmuth beladenen Scorbuticis, zur nutzlichen ERgötzung ans Taglicht gegeben
Gedruckt im Jahr 1717

Samstag, 4. Februar 2017

Das Märchen vom Maulwurf

Vor vielen tausend Jahren, als die Menschen noch keine Kleider trugen, lebte mitten in der Erde ein Zwerg, so tief untern, daß kein Mensch etwas von ihm wußte. Und er selber wußte von den Menschen auch nichts; denn er hatte sehr viel zu tun. Er war ein König über die andern Zwerge, und schon fünf mächtige Höhlen hatte er sich ausputzen lassen, und war ganz alt und grämlich dabei geworden, so viel hatte er zu befehlen.
Es war aber nicht dunkel da unten in den Höhlen, sondern eine glänzte immer bunter als die andre, so viel Diamanten und Opale hatte das Zwergvolk drin aufgebaut, und die Wände waren von blankem Kristall, jede in einer besonderen Farbe. Und da saß nun der König der Zwerge, in seinem Mantel von schwarzem Sammet, auf einem großen grünen Smaragdstein, und faßte sich an seine spitze Nase und überlegte mit seinen alten Fingern, ob auch alles hell genug wäre. Er fand es aber durchaus nicht hell genug.
Da machten ihm die andern Zwerge eine sechste Höhle zurecht, mit Wänden von lauter Rubinen, die wie ein einziger Feuerschein glühten, und das dauerte tausend Jahre; aber er fand auch Das noch nicht hell genug. Als er nun immer trauriger wurde in seinem schwarzen Sammetmantel, kamen die andern alle zusammen, und die Jüngsten sagten zu den Alten: Kommt, laßt uns eine blaue Höhle machen!
Dafür wären sie beinahe totgeschimpft worden, denn bis dahin hatte das Zwergvolk die blaue Farbe nicht leiden können. Weil aber alle andern Farben in den sechs Höhlen schon durchprobiert waren, sagten endlich auch die ältesten Zwerge ja und gaben den jungen die Hände. Dann gingen alle an die Arbeit und putzten heimlich eine siebente Höhle aus, mit Wänden von echten Türkisen, die so hell und blau wie der Himmel waren, und das dauerte wieder tausend Jahre.
Die gefiel nun dem König wirklich, und der allerälteste Zwerg, der fast so alt wie der König selbst war, schoß vor Verwunderung einen Purzelbaum. Darauf trugen sie den großen Smaragdstein in die neue Höhle hinein, und der König setzte sich auf ihn und freute sich, wie schön sein schwarzer Sammetmantel zu den hellblauen Wänden paßte. Nachdem er aber fünfhundert Jahre so gesessen hatte, fand er auch Das nicht mehr hell genug; er wurde trauriger als je zuvor und seine Nase immer spitzer.
Fünfhundert Jahre saß er noch und überlegte seinen Kummer, sodaß er schon ganz fett zu werden anfing. Endlich ertrug er das nicht länger, ließ sich die jüngsten Zwerge kommen und sagte: macht mir eine Höhle, die Licht hat wie alle Farben in eine verschmolzen! Das aber verstanden auch die allerjüngsten nicht, und glaubten, ihr König sei verrückt geworden.
Da beschloß er, sie zu verlassen und selbst nach seinem hellen Lichte zu suchen. Er stieg herunter von seinem Smargadstein, und schnitt den schwarzen Sammetmantel etwas kürzer, sodaß er Hände und Füße frei bewegen konnte, und fang an zu graben. Weil aber unten in der Erde die Andern schon alles abgesucht hatten, so meinte er, daß Licht, wonach er solche Sehnsucht fühlte, müsse wohl weiter oben liegen, und grub sich in die Höhe; und weil das Zwergvolk damals den Spaten noch nicht erfunden hatte, so mußte er die Finger zum Wühlen nehmen. Das tat ihm nun sehr weh, denn er war das nicht gewohnt; aber er hatte solche Sehnsucht nach dem Licht.
Dreitausend Jahre wühlte der König der Zwerge und grub sich höher und höher hinauf. Die Haut um seine Finger war schon ganz dünn davon geworden, sodaß die kleinen Hände ganz rosarot aus seinem schwarzen Sammtmantel kuckten; aber immer sah er das Licht noch nicht. Nur tief von unten schimmerte noch ein blaues Pünktchen zu ihm herauf, aus seiner siebenten Höhle her; aber um ihn und über ihm war alles schwarz. Auch etwas magerer war er geworden, und die Nase noch spitzer.
Da überlegte er, ob er nicht lieber zu seinem Volk zurückkehren sollte; aber er fürchtete, dann würden sie ihn absetzen und wirklich in ein Irrenhaus sperren. Also ging er aufs neue an die Arbeit mit seinen rosaroten Zwerghänden, und grub nochmals dreitausend Jahre lang, und es wurde immer dunkler um ihn her, bis schließlich auch das blaßblaue Pünktchen tief unten hinter ihm verschwand. Als er nun gar nichts mehr sehen konnte, hörte er auf zu wühlen und sprang in die Höhe und wollte sich den Kopf einstoßen, so furchtbar traurig war ihm zumute.
Da ging auf einmal die Erde entzwei über ihm, und er schrie laut auf vor Entzücken und schloß die Augen vor hellem Schmerz, so viele Farben gab es da oben, als ob ihn tausend bunte Messer stächen, bis ins Herz. Denn hoch im Blauen über der Erde, viel höher als er gegraben hatte, so hell wie alle Farben in eine verschmolzen, stand eine große strahlende Kugel, und Alles war Ein Licht.
Als er es aber ansehen wollte und seine Augen wieder aufschlug, da war er blind geworden und fiel auf die Stirn. Und er fühlte, wie schwach sein Königsherz war, und wie sein schwarzer Mantel vor Schreck mit ihm zusammenwuchs, und daß er kleiner und kleiner wurde und seine Nase immer spitzer, und plötzlich rutschte er zurück in die Erde.
Seit dem Tage gibt es Maulwürfe hier oben, und darum haben sie ein schwarzes Sammetfell und rosarote Zwerghände und sind blind. Und manchmal, wenn die Sonne recht kräftig scheint, dann stoßen sie ein Häufchen Erde hoch und stecken die spitze Nase an die Luft, vor Sehnsucht nach dem Licht.

Richard Dehmel

Donnerstag, 2. Februar 2017

Wie wird man reich?

Frag:
Was muß einer thun / der reich will werden?

Antwort.
Er muß fliehen die Weiber / Gastereyen / Sicherheit / und Spielen.

Hilarius Salustius, Melancholini
wohl-aufgeraumter Weeg-Gefärth
Vorbringend
Lächerliche / aber kluge Fabeln / nutzliche Fragen / denckwürdige Geschichten / wundersame Würckungen der Natur / auch ersprießliche Sitten-Lehren.
Allen
Mit der Miltz-Kranckheit und Unmuth beladenen Scorbuticis, zur nutzlichen ERgötzung ans Taglicht gegeben
Gedruckt im Jahr 1717