Samstag, 31. Dezember 2016

Die Legende Silvesters …

By Unknown medieval artist in Rome [Public domain or Public domain], via Wikimedia Commons


Die Legende Silversters, offenbar erdichtet, um die römische Taufe Constantins zu beglaubigen, muss schon am Ende des 56en Jahrhunderts verfertigt worden sein. Sie ist aus Einem Gusse und trägt keine Spuren späterer Einschaltungen. Der Griechische Text, in welchem sie erhalten, ist augenscheinlich eine Uebersetzung aus dem Lateinischen, der wohl in Rom geschrieben wurde. In dem ganzen Dokumente findet sich nicht ein historischer Zug. Constantin ist zuerst ein Feind der Christen, lässt Viele und darunter seine eigne Gemahlin, da sie den Götzen nicht opfern wollen, hinrichten, so dass Silvester sich nach dem Gebirge Soracte flüchtet. Der Kaiser, mit dem Aussatz behaftet, soll, um zu genesen, sich in einem mit frischen Knabenblute gefüllten Teiche baden, aber durch die Thränen der Mütter dieser Knaben erweicht, verzichtet er auf das grausame Heilmittel und wendet sich, durch eine himmlische Vision belehrt, an Silvester, der ihn durch die christliche Taufe von der Krankheit heilt, worauf ganz Rom, Senat und Volk, an Christus glaubt. Eingeflochten sind noch zwei Episoden. die eine von der grossen Schlange unter dem Tarpeischen Hügel, die mit ihrem Gifthauche Tausende tödtet, bis Silvester die Pforten ihre Höhle verschliesst; und dann eine lange, durch Helena veranlasste, für Silvester siegreiche Disputation mit den Juden.
Der Verfasser hat die Kirchengeschichte des Eusebius gekannt, er will, wie er im Eingange sagt, die Berichte derselben ergänzen; aber die Biographie Constantins, welche der Taufe des Kaisers gedenkt, hat er entweder nicht gekannt, oder er hat doch Unbekanntschaft mit derselben bei seinen Lesern vorausgesetzt. Und wirklich ist es ihm gelungen, seiner Fabel, trotz der so bestimmten und einhelligen Zeugnisse des vierten Jahrhunderts, Eingang zu verschaffen. Selbst die Chronik des Hieronymus, der man doch sonst in geschichtlichen Dingen unbedingt folgte, unterlag zuletzt in dieser Frage.

Johann Joseph Ignaz von Dollinger
Die Papst-Fabeln des Mittelalters
1863

Papst Silvester I., von 314 bis zu seinem Tod am 31. Dezember 335 Papst, gilt für die römisch katholische Kirche als Namensgeber für den 31. Dezember, für die griechisch- und bulgarisch-orthodoxen Kirchen am 2. Januar und für die russisch-orthodoxe Kirche am 15. Januar.

Freitag, 30. Dezember 2016

Der Sperling und der Strauß

"Sei auf deine Größe, auf deine Stärke so stolz wie du willst", sprach der Sperling zu dem Strauße; "ich bin doch mehr ein Vogel als du. Denn du kannst nicht fliegen, ich aber fliege, obgleich nicht hoch, obgleich nur ruckweise."

Der leichte Dichter eines fröhlichen Trinkliedes, eines kleinen verliebten Gesanges, ist mehr ein Genie, als der schwunglose Schreiber einer langen Hermanniade.

Gotthold Ephraim Lessing

Donnerstag, 29. Dezember 2016

Der Knabe und der Hund

Von einem Hund geleitet, schlich
Ein blinder Greis an seinem Stabe
Durch eine Stadt. Ein wilder Knabe,
Der Spitzbarts Israelchen glich,
Schnitt, um sich einen Spaß zu machen,
Des Manne’s Compas, den Strick entzwey.
»Flieh,« - sprach er. - »Phylax, du bist frey;
»Dein Graukopf mag sich selbst bewachen.«
Der Pommer fuhr dem kleinen Wicht
Voll edlen Grimmes an die Waden,
Und sagte: »Nein, ich fliehe nicht,
»Du willst mir wohlthun, um zu schaden.«

Fünfzig Fabeln und Bilder
aus der Jugendwelt.
Von
Wilhelm Corrodi
Zürich, 1876, Zweite Auflage

Sonntag, 18. Dezember 2016

Die Muse und Phädrus

»Du willst nutzen«, sagte die Muse zu Phädrus: »Warum sagest du also dem Menschen die Wahrheit nicht, wie sie an sich selbst ist? Warum lehrest du in Bildern?«

»Ich will nutzen«, antwortete Phädrus, »und eben darum lehre ich in Bildern.«

Die nackte Wahrheit sieht, und liest, und hört Niemand gern.

Heinrich Brauns
Versuch in prosaischen Fabeln und Erzählungen
München 1772
zu finden bey Joahnn Nepomuk Fritz,
und Augspurg bey Iganz Anton Wagner,
Buchhändlern.

Mittwoch, 7. Dezember 2016

Der Affe und der Hund

Ein Urang-Utang hatte sich
Mit Menschenkleidung säuberlich
Nach neuster Mode ausgeschmückt.
Den Hut in seine Stirn gedrückt
Trat er nun seine Wallfahrt an,
Und zwar mit solchem Schaugepränge,
Als wär' er Sultan Soliman,
Und ihm die weite Welt zu enge.

Das Dörflein sah den fremden Herrn,
Und wich ihm aus, un grüßte ihn von fern.
Doch als im seligen Genuß
Der hohen Würde Petz zum Genuß
Den großen Hut vom Kopfe nahm,
Und man ihm in die Augen sah,
Da hieß es: Seht den Narren da!
man rief und schrie und zischt' ihn aus.

Petz aber lief voll Gram und Scham;
Und als er nun nach Hause kam,
Sprach er zu Phylax seinem Freund:
Ich habe wunderfest gemeint,
Daß ich dem Herrn der Thiede glich,
Und sieh! man verspottet mich,
Und treibt mich fort mit Ungestüm!

Ey! Sprach der Hund, du gleichst ihm
Aufs Haar; allein bloß äußerlich,
Deshalb, mein Freund, verlacht man dich.

***

Der reiche Star will auch ein Denker seyn.
Das Sein ist schwer; er wählt den Schein;
Sein Bildersaal, sein blanker Bücherschrein
Verkünden dir den weisen Mann,
Doch Jammer! Niemand glaubt daran.

Vaterländische Unterhaltungen
Ein belehrendes und unterhaltendes Lesebuch
zur
Bildung des Verstandes, Veredlung des Herzens, Beförderung der Vaterlandsliebe und gemeinnütziger Kenntnisse
für die Jugend Österreichs
von Leopold Chimani
Dritter Teil
Wien 1815, Im Verlage bey Anton Doll

Montag, 5. Dezember 2016

Wie aus dem Wolf was Nützliches wurde


Jetzt aber raus, dachte sich der Wolf und sprang aus dem Fenster, bevor der
Jäger ihn sah. Wat is los? Steht da plötzlich so ein kleines Mädchen
mitten aufm Weg vor ihm.
"Hömma, jetz is Schluss mitten auffressen vonnne Omas anderer Leute."
"Äh" sagte er Wolf. Dat Mädchen wedelte mit sonnen Stab inne Luft, und ratzfatz war dat Untier weg un stattdessen stand da wat ganz nützliches vor ihr aufm Weg. Steckt sie inne Tasche und macht seitdem lecker Spritzgebäck mit dem Wolf, durch den sich allet drehen ließ. Auch Plätzkenteig. Der alte Wolf, innen drin, dreht immer noch durch.

Amos Ruwwe

Sonntag, 4. Dezember 2016

Der Ichnevmon *) und der Ibis


An den Ufern des Nils begegnete Ichnevmon dem auf die Opfer stolzen Ibis, welche ihm die dankbaren Aegypter brachten, weil er ihr Land von schädlichem Ungeziefer wohlthätig reinigte. In der That, Ibis, sagte er, wenn man dem Muthe Gerechtigkeit wiederfahren ließe, so würde man mir, als dem Ueberwinder des Krokodils, diese Altäre rauchen sehen, welche man dir bestimmt, der du deine Siege auf elendes machtloses Gewürme einschränkest. Vielleicht, versetzte der Ibis, würde man diesen Muth, den du von dir preisest, nicht an dir wahrnehmen, wenn die Leber des Krokodils nicht zu viel Reizungen für deinen Gaumen hätte.

*) Der Ichnevmon ist ein kleines Thier, welches nach Plinius und andrer Zeugniß, der gefährlichste Feind des Krokodils ist, dem er im Schlaf in den offenen Rachen kriecht und die Leber abfrißt. Der Ibis aber ist eins chwarzer Vogel, der viel ähnliches mit dem Storche hat.

Wilhelm Ehrenfried Neugebauer, 1761

Donnerstag, 1. Dezember 2016

Sagen und Legenden des Mittelalters



Seit kurzem ist ein neues Buch von mir erhältlich: Sagen und Legenden des Mittelalters. Das Besondere ist, das nicht einfach Sagen abgedruckt werden, sondern durch vorsichtige Bearbeitung lesbar gemacht wurden und zusätzlich zu jeder Sage Hintergrundwissen vermittelt wird. So sind die Sagen heute besser zu verstehen.