Mittwoch, 10. Juni 2015

Katze und Mäuse


Einstmals kam eine Katze, die ein gelb und rotes Kleid angezogen hatte, in die Nähe der Mäuse. Als die Mäuse sie erblickten, flohen sie erschrocken. Die Katze sagte: »Flieht nicht! Ich habe vor Buddha ein Gelübde abgelegt und thue deshalb keinem Geschöpf etwas zuleide«. Die Mäuse aber sagten: »Frau Katze, höre. Wenn dein Körper, indem du das gelb und rote Kleid anzogst, ein Gelübde genommen hat, hat dein Gemüt auch ein Gelübde genommen?« Die Katze sprach: »Meine Brüder, hört mich! Alle andern Dinge werden sich finden, mein Gemüt ist aufrichtig und rein. Die Mäuse glaubten es und machten die Katze zu ihrem Fürsten. Als sie aber zusammen waren, frass die Katze, sich listig verbergend, täglich mehrere hundert Mäuse. Die Mäuse wunderten sich und fanden, als sie nachzählten, das 800.000 Mäuse weg waren. Sie erkannten nun, dass die Katze sie gefressen hatte und sprachen »Jeder schlechtgesinnte Mensch muss so . . . . . .  werden«. So sprechend flohen sie. Das war die Macht der List.

Die Fabel ist auch in der mohammedanischen Welt verbreitet; man vergleiche die folgende Version:

Eine alte Katze war neben dem Feuer im Hause, auf dem Kopfe einen Turban setzend; diese Katze rief zu den Mäusen: ich habe viele Leute von euch getötet, ich habe Reue empfunden, ich habe Busse gethan, ich begebe mich zur Kaaba; kommet, um mir zu verzeihen und Frieden zu machen, sprach die Katze. Alle Mäuse kamen zu dieser Katze; eine grosse Maus blieb auf dem Hofe, ohne ins Innere des Hauses zugehen. Komm auch du, sprach die Katze zu dieser Maus; diese Maus sprach: bei Gott, das aussehen dieser Katze ist dasselbe, der Schnauzbart ist derselbe, die Ohren sind dieselben, der schwanz ist derselbe, die Art ist dieselbe; wegen des Turbans hat sie ihre Sitten nicht aufgegeben,m ich kann nicht hineinkommen. Also sprechend lief die grosse Maus davon; nahe kamen alle Mäuse und die Katze tötete und frass jene Mäuse und die Katze wurde satt.


aus: Fünf indische Fabeln
Aus dem Mongolischen von Hans Conon von der Gabelentz
Aus einer unveröffentlichten Handschrift der Königl. Bibliothek zu Berlin
mitgeteilt von B. Laufer
Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft
Bd. 52 (1898)

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