Samstag, 22. September 2012

Der Löwe und der Leopard

Auf weiter Ebne herrschte einst mit königlicher Pracht
Ein Löwe unbeschränkt in seiner Würde hoher Macht;
An sein Gebiet stößt nun zunächst ein großer Hain,
Und gerne möchte er Besitzer davon seyn.
doch zu gefährlich hat es ihm geschienen,
Deßwegen einen krieg selbst zu beginnen;
Denn eines Leoparden Eigenthum
Ist dieser Hain, und um ihn rings herum,
Wo sich die Gränzen beider Höfe scheiden,
hat ihren Sitz der Panther und der Bären wilde Schaar,
Und, einen Kampf mit diesen zu vermeiden,
Befiehlt dem Lösen seine Klugheit; dieses ist wohl klar.
Allein was ist hier anzufangen,
Um doch zum ziele zu gelangen?
Die List muß hier den Ausweg zeigen.
Ein alter Fuchs, durch seine Schlauheit längst bekannt,
Wird von dem Löwen zu dem Leopard gesandt,
Um einen Plan zu überreichen,
Wornach die beiden Mächte sich verbinden,
Die feinde unnachsichtlich aufzureiben,
Die in der Nachbarschaft ihr Wesen treiben.
Der Leopard nimmt freudig diesen Vorschlag an;
Der Kampf beginnt und alle Gegner finden
Nun ihren Tod; bald lebt kein Bär
Im Walde und kein Panther mehr.
Doch jetzt erkennt der Leopard auch seinen Wahn:
Und hat er oft auch Grund, sich zu beklagen,
So darf er dennoch dieses nimmer wagen,
Wenn er nicht stürzen will in seinen Tod,
Da ihm des Löwen Wuth Verderben droht.
So lernt er nun zu spät, daß Pantherthier und Bären
Am besten gegen Löwen-Macht ihm Schutz gewähren.

Florian’s *) Fabeln
frei metrisch bearbeitet
von Conrad Samhaber
kgl. Kreis- und Stadtgerichts-Rathe zu Fürth
München 1834, Druck und Verlag von George Jaquet

*) Jean-Pierre Claris de Florian

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