Freitag, 24. August 2012

Die Saiten auf der Geige


 
Die XVIII. Fabel

Ein so genanntes E, die Quinte wollt ich sagen,
Fieng immer an sich zu beklagen,
Als wiederführ ihm nicht genug Ehre.
Das A, sein Nachbar, hielt ihm ein:
Wenn ich an deiner Stelle wäre,
Ich würde gern zufrieden seyn.
Was geht dir denn noch ab? Du stehst ja obenan;
Du hast ja unter uns den Vorzug zu genießen.
Ach sprach das E, schon gut! Soll mich das nicht verdrießen?
Ich steh am meisten aus, und muß fast immer dran;
Ich sing auch unter euch den trefflichsten Discant;
und gleichwohl hat man nicht so viel auf mich gewandt,
Als auf das grobe G; ich soll es sehn und leiden?
Ein solcher schlechter Kerl läßt sich in Silber kleiden?
Verdient ers denn? o nein! ich wüßte wohl nicht, wie?
Man sollte mich mit Silber überspinnen;
Mit mir verlohnte sichs der Müh.
Du würdest, sprach das D, dabey nicht viel gewinnen.
Die Sach erfordert vielen Zwang;
Du bist zu schwach, du magst es ja nicht wagen;
Du bringst dich sonst um deinen Klang.
Ihr Naren! rief das E, das müßt ihr Kindern sagen;
Ich glaub es nicht, drum schweigt nur still.
Der Silberdrat hilft ja dem G den Klang vermehren:
Warum denn nicht auch mir? Ich lasse mirs nicht wehren,
Es mag auch gehen, wie es will.
Die Quinte bat nach diesem ihren Herrn,
Als er die Geige nahm, und wieder spielen wollte,
Daß er sie überspinnen sollte.
Ihr dürft euch, sagte sie, dawider gar nicht sperrn,
Es wird euch keinen schaden bringen,
ich werde desto schärfer klingen.
Der Schüler maß der Quinte Glauben bey,
Und ohne lange nachzusinnen,
Ob auch die Sache thulich sey,
Erfüllt er ihren Wunsch, und ließ sie überspinnen.
Er nahm sie nun, und zog sie wieder auf,
Die schöne Quinte! die! Sie sollte heller singen,
und gleichwohl hörte er sie, sechs Tone gröber klingen:
Was, sprach er, heißt denn das? Du mußt mir wohl hinauf!
Er meynt, es läg an ihm, weil er beständig noch
Auf ihr gethan Versprechen fußte;
Drum dreht er immer zu, und spann sie so hoch,
So daß sie gar zerspringen mußte.
***
Manch Narr will vornehm thun, und hat doch kein Geschicke,
Wer klug ist, fürchtet sich für übergroßem Glücke,
Weil Ansehn, Ehre, Stand und Pracht
Viel eher zwanzig grob, als einen höflich macht.


Neue Fabeln oder moralische Gedichte
Daniel Stoppe
1740/45

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