Sonntag, 17. Juli 2011

Der Leser sieht das Bild …

Der Leser sieht das Bild, und lacht des Fuchses List:
Merkt aber schamroth oft, da er getroffen ist.

Die Charaktere der Thiere sind bestimmt. Auch dieses trägt nicht wenig zum Vergnügen, oder zu dem Unterzweck der Fabel bey. Der Esel ist dumm, der Fuchs schlau: der Löwe muthig, der Hase feig: der Wolf grausam, das Lamm sanft etc.  Aus dieser Bestimmtheit der Charaktere läßt sich auf einen moralischen Satz ein eben so sichere, als angenehme Anwendung machen. So wird durch die Fabel die ganze Natur belebt, und alle Wesen, wenn man sie mit Äsops Augen ansieht, werden eben so viele unterhaltende Lehrer. Ich sagte schon oben, daß die Moral der Philosophen oft zu versteckt und finster ist; aber in der Fabel lernet man seine Pflichte, die Wahrheit, die Schönheit der Tugend, die Häßlichkeit des Lasters ohne Anstrengung wie spielend, kennen. Die zu nackte Wahrheit blendet, im Fabelschleyer ist sie doppelt reizend. …

Fabulae Aesopiae
Phädrus in deutschen Reimen
von Xaver Weinzierl
Wien und Triest, 1817
aus dem Vorwort

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