Donnerstag, 30. September 2010

Indische Sprüche


68.

In großer Angst die Taube zum Geliebten spricht:
»Jetzt kam, o Freund, die Todesstunde! Siehst du nicht,
Mit Bogen steht und scharfem Pfeil am Boden hier
Der Jäger, dort der Falke kreist im Luftrevier!«
Und was geschah? Den Jäger eine Schlange biß,
Dem Falken drauf des Jägers Pfeil die Brust zerriß.
So nahm das Haus des Todes rasch die Beiden auf.
Wie ist doch gar so wunderbar des Schicksals Lauf!

Indische Sprüche
Aus dem Sanskrit metrisch übersetzt
von Ludwig Fritze
Leipzig, 1880

Mittwoch, 29. September 2010

Hundeklugheit


Der Philosoph v. Leibniz erzählt, daß er an einem strengen Wintertag mit seinen Jagdhunden fast erstarrt vor Kälte heimgekehrt sei; alle Hunde liefen nach dem Kaminfeuer und streckten sich in der Wärme aus, bis auf den ältesten Hund, der keinen Platz mehr fand. Leibniz beobachtete das Tier, er wunderte sich, daß es sich so friedlich von dem wamen Platz fernhielt. Plötzlich lief der Hund zur Türe und fing ungebärdig an, überlaut zu kläffen. Sofort sprangen die anderen Hunde vor dem Kamin auf und bellten mit. Kaum standen sie an der Türe, da zog sich das alte Tier an den Kamin zurück und legte sich breit zur Ruhe.

Ma. S.

Sonntag, 26. September 2010

Chinesische Fabeln

Die Anwendung von Fabeln, um irgendeine schlichte Wahrheit mitzuteilen, oder um die Gedankenspitze eines Sittenspruches zu bekräftigen, ist im chinesischen Volk ebenso bekannt wie bei uns und andern europäischen Kulturnationen. Und da die Grundeigenschaften der Menschen überall gleich sind, kommen in Fabeln aus dem „Land der Mitte“ Gedanken zum Ausdruck, die auch wir verstehen. Eine der bekanntesten chinesischen Fabeln ist die von der Katze und den Mäusen, die meist kurz folgendermaßen erzählt wird: »Eine alte Katze saß eines Abends schreiend, mit halbgeschlossenen Augen aufrecht da, als sie von zwei Mäusen gesehen wurde. Durch das Benehmen der Katze erstaunt und überrascht, daß ihr alter Feind so unaufmerksam war, sagten sie gegenseitig zu sich: ‚Die Katze hat sich scheinbar gebessert, sie betet, und wir brauchen keine Angst zu haben.‘ Beide begannen daher miteinander zu spielen, ohne auf die Katze acht zu geben. Kaum kamen sie der Katze näher, als diese auch schon auf einer der Mäuse lossprang und das unachtsame Geschöpf verzehrte. Die andere Maus lief davon. In ihrem Schlupfwinkel angelangt, sagte sie zu einem Genossen: ‚Wer hätte das gedacht, daß eine Katze, die ihre Augen schließt und betet, so grausam sein könnte?‘«


Die Moral ist: man soll Kreaturen, die ihre Andacht offen zur Schau tragen, am wenigsten trauen.


Schlangen kommen häufig in chinesischen Fabeln vor. Eine der am meisten erzählten, die an die wohlbekannte Geschichte vom Kopf, dem Magen und den Gliedern erinnert, in der Hände und Füße sich weigerten, ferner zu arbeiten, um Organe zu befriedigen, die nichts für den Broterwerb tun. Die Fabel lautet: »Kopf und Schanz einer Schlange stritten miteinander. Der Schwanz behauptete, daß er ebensoviel Rechte wie der Kopf habe, die Bewegungen des ganzen Körpers zu bestimmen, umso mehr, da der Kopf alle Freuden des Essens und Trinkens genieße. Der Schwanz verlangte, die Bewegungen des Körpers zu bestimmen, und sagte, er wolle künftig das Kommando übernehmen. Er fing sogleich an, sich rückwärts zu bewegen. Da ihm von der Natur aber keine Augen gegeben sind, stürzte er in einen morastigen Graben, aus dem die Schlange nicht mehr herauskam, und erstickte.«


Der Tiger kommt in chinesischen Fabeln nicht weniger häufig vor als die Schlange. Eine dieser Fabeln  lehrt, daß Scharfsinn mehr wert ist als Kraft. Ein Tiger wollte einen Fuchs verschlingen. Da bat Reineke für sein Leben, da er klüger als alle andern Tiere sei, und sagte: »Wenn du mir nicht glaubst, komme mit mir und überzeuge dich, daß es so ist.« Beide gingen nun miteinander. Jedes Tier, das dieses Paar sah, lief eiligst davon, sobald sie näher kamen. Der Tiger, zu dumm, um einzusehen, daß nur er die Tiere in Schrecken versetzte, bekam so große Achtung vor dem Fuchs, daß er ihn nicht fraß.


Eine andere Fabel schildert die Torheit des Geizes. »Ein reicher Mann besaß viele Juwelen, auf die er stolz war. Eines Tages zeigte er die Kostbarkeiten einem Freund, der die Steine bewunderte und beim Abschied sagte: ‚Ich danke dir für deine Juwelen.‘ Da schrie der Reiche: ‚Was redest du da? Ich habe sie dir nicht gegeben; warum dankst du mir?‘ Da sagte der Freund: ‚Ich fand am Anblick der Juwelen soviel Freude als du. Der einzige Unterschied zwischen uns ist nur der, daß du Mühe und Sorge hast, deine Schätze zu bewachen.‘«


A.Ld.
aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens
13. Band, Jahrgang 1924, S.188 ff.

Freitag, 24. September 2010

Fabelhafte Suche

Ich finde es jedenfalls fabelhaft, nach was alles so gesucht wird.

Donnerstag, 23. September 2010

Der Wassertropfen



Ein Tropfen Wasser fiel aus einer Wolke herab ins Welt-Meer
»Ach, rief er aus, was bin ich hier unter dieser zahllosen, unübersehlichen Menge? Ein Nichts; ja, fast noch weniger als Nichts.«
Eine Muschel hörte diese Worte; that sich auf, und verschlang den bescheidenen Tropfen. In ihr ward er zu einer unschäzbaren Perle, und prangte iezt in der Krone des persischen Monarchen, schöner als alle übrigen Juwelen des Morgenlandes.

Denienigen, der seine Niedrigkeit fühlt und gesteht, pflegt das Schicksal oft hoch zu erhöhen.

A. G. Meißner (1753 - 1807)
aus: Fabeln, Berlin 1807

Mittwoch, 22. September 2010

Fuchs und Bär

Kam einst ein Fuchs vom Dorfe her,
Früh in der Morgenstunde,
Und trug ein Huhn im Munde;
Und es begegnet' ihm ein Bär.

»Ah! guten Morgen, gnäd'ger Herr!
Ich bringe hier ein Huhn für Sie;
Ihr Gnaden promenieren ziemlich früh,
Wo geht die Reise hin?«

»Was heißest du mich gnädig, Vieh!
Wer sagt dir, daß ich's bin?«
»Sah Dero Zahn, wenn ich es sagen darf,
Und Dero Zahn ist lang und scharf.«

Matthias Claudius

Dienstag, 21. September 2010

Von einem faulen Weibe

Es war in eim dorf ein fauls weib,
Die spart allzeit irn faulen leib
Und war der arbeit feindlich gram,
Beid in arm und in beinen lam;
Doch war sie in den lenden frisch,
Gegen zu halten stark und grisch.
Die het ein man, der sie fast trieb,
Selb nimmer von der arbeit blieb.
Gedacht, wie sie möcht haben rue,
Und gab dem pfarrherrn eine kue,
Auf daß sie gnade bei im fünd
Und er dest mer feirtag verkünd.
Kurz auf den sontag bald darnach
Der pfaff stieg auf die kanzel hoch
Und sprach: »Ich euch verkünden solt
Die feirtag, wie ir gerne wolt.
Der sontag ist zu feiren gmein,
Sonst weiß ich in der wochen kein;
Nur die frau, welch mir gab die kue,
Feir noch ein tag oder zwen dazu.«
Wer gerne tanzt, mag man leicht pfeifen:
Wer gerne jagt, mag leicht ergreifen
Ein hasen oder sonst ein wilt,
Damit er seinen vorwitz stillt.
Also auch wer nit gerne arbeit,
Der findt auch wol zu aller zeit
Ursach, daß sich den glenz leßt stechen,
Solt ers auch von eim zaune brechen.
 
Burkard Waldis
Esopus. Erster und zweiter Theil
Band 2, Leipzig 1882

Montag, 20. September 2010

Fabelhafte Verlosung von Lebenskünstler

Eine fabelhafte Verlosung findet sich heute im Blog von Lebenskünstler (läuft bis 26.9.2010).

Sonntag, 19. September 2010

Der Fuchs und seine Brüder


Einst schlich im Mondschein Meister Fuchs
Sich hin zum Hühnerhause,
Und lauschte, schärfer als ein Luchs,
Nach einem leckern Schmause,
Kühn dringt er durch die schlechte Thür',
Daß sie ihn zu den Hühnern führ'.

Und es gelingt ihm auch sogleich,
Ein Hühnchen zu erhaschen.
So zart, so jung und weis und weich.
Er eilt davon zu naschen,
Und speißt mit solchem Appetit,
Daß er nichts weiter hört noch sieht.

Der Bauer merkt den fremden Gast
In seinem Hühnerhause,
Und ruft die Hunde, die ihn fast
Zerrissen, bei dem Schmause.
Mit großer Noth er noch entwich,
Doch ließ er seinen Schwanz im Stich.

Wie nekten seine Brüder ihn,
Daß seine Zier verschwunden,
Und daß er sie, nur zu entfliehn,
Feig' überließ den Hunden;
Bis endlich es den Fuchs verdroß,
Daß sich so reich ihr Spott ergoß.

»Laßts gut seyn. – Nur das ärgert mich,
Daß ich mit meinem Schwanze,
Als ich mit großer Noth entwich,
Gequetscht, wie eine Wanze,
Zugleich mein Fischernetz verlor.
Ein Unglück bringt noch eins hervor.«

Die Füchse horchen hocherfreut:
»Was sprichst du da von Fischen?
Und von dem Netze, das dich reut,
Daß dir sie kann erwischen?
Erkläre deutlicher, dich Freund,
Was hast du eigentlich gemeint?«

Und Meister Fuchs, mit trüben Blick,
Läßt erst sich lange bitten;
Spricht viel von seinem Mißgeschick,
Und dem was er gelitten.
Fängt seine Rede an vom Ey,
Und spät erst kömmt das Ziel herbei.

»Die Probe machen wir sogleich,
Kommt, ohne Zeitverlieren,
Eh noch gefroren dort der Teich;
Ihr könnt es ja probieren.
Setzt euch ans Ufer reihenweis,
Ich ordne alles schon mit Fleiß.

Nun, so ists recht. – Die Schwänze laßt
Hinab ins Wasser fallen:
Die Fische kommen dann in Hast
Geschwommen zu euch Allen,
Und hängen sich am Schwanze an,
Daß man ihn nicht mehr regen kann.

Doch ist es nicht so bald geschehn;
Ihr dürfet nur nicht murren,
Wenn ein paar Stunden noch vergehn!
Erzählt indeß euch Schnurren
Von manchem schlauen Schelmenstreich
Und auch von manchem andern Zeug!«

Die Brüder, voller Lüsternheit,
Viel Fische zu erbeuten,
Thun gern, was Meister Fuchs gebeut,
Sein Wort nicht zu bestreiten.
Sie sitzen alle reihenweis,
Bis sich der Teich bedeckt mit Eis.

Doch Brüderchen, voll Schelmerei,
Schleicht sachte sich von ihnen,
Und ruft die Hunde straks herbei,
Mit schadenfrohen Mienen.
Die stürzen Schaarenweis, im Nu,
Lautbellend auf die Fischer zu.

Erschrocken wollten diese gleich
Aufspringen, und entfliehen;
Doch aus dem zugefrornen Teich
Kann keins den Schwanz mehr ziehen.
Und Mancher, der mit Noth entwich,
Ließ ihn in seiner Angst im Stich.

Trau nicht dem Schelme, wenn er auch
Zum Spotte selbst geworden.
Er hat es immer im Gebrauch,
Auch andrer Glück zu morden.
Laß nicht dem Spottgeist freien Lauf
Sonst reiz't du seine Bosheit auf.

Karoline Stahl
Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. 
Nürnberg 1821

Samstag, 18. September 2010

Eine Bilderfabel für Goethe


Hinangeflogen da kam ein Specht
Von Frankfurt wol am Main;
Der klatschte mit den Flügeln recht
Und lachte froh darein.
Es war ein bunter lieber Specht;
Singt Alle, singt darein:

Chor:
Bunter Specht! lieber Specht!
Von Frankfurt wol am Main!

Und in Westphal'n in wildem Wald,
Wo einst Herr Hermann schlug,
Da saß ein armer junger Falk,
Zu früh gelähmt im Flug,
Zerknickt sein Flügel nur zu bald!
Darum der wilde Wald erschallt;

Chor:
Armer Falk! armer Falk!
Zu früh gelähmt und bald!

Der Specht stolzirte hoch daher
Und schlug sein Flügelpaar.
Eia! ein lust'ger, muntrer Häh'r,
Ein Specht, wie einer war.
Und hackt im Baum und klimmt daher,
Klimmt immer höh'r und immer höh'r.

Chor:
Lust'ger Häh'r! muntrer Häh'r!
Ein Specht, wie einer war!

Und schnell mit Spechtstriumph und List
Trat er zum Falk hinan:
»Das ist, wenn man ein Falke ist,
Ein Raubthier, guter Mann;
Was man da speculiren thut,
Ist Alles wahr, ist Alles gut.«

Chor:
Dünkt Adeler sich, Jupiter,
Wenn man kaum Falke ist!

Der arme Falk, er seufzte tief;
Sein Flügel hing ihm schwer:
»Das wol kein Bruder aus Dir rief,
Du schöner, bunter Häh'r!
Lob' ich nicht Deiner Farben Zier,
Nußkern und Rindlein lasse Dir?«

Chor:
Bunter Specht! Apollo's Specht!
Und seiner Leyer Zier!

»Ich aber – Haupt und Flügel sinkt
Wie blutig mir und schwer!
Und dem es sonst denn auch gelingt,
Der Blick – nun dunkelt er.
Und eine matte Wolke zieht
Sich ums unschließbar Augenlid.«

Chor:
»Armer Falk! armer Falk!«
Schallt ringsumher der Wald.

Und da trittst Du verachtend an
Und höhnst sein Erdgewand
Und gaffst den Sträuberücken an
Und seine schlaffe Hand
Und willst ihm Deines Jäckchens Tracht,
Dein Lustgeschrei und Häherjagd.

Chor:
Schöner Specht! braver Specht!
Das war als Specht gedacht!

Mein Freund, auch über Falks Natur
Und Treu und G'nügsamkeit,
Was geht da, lieber Häher, nur,
Und Blick und Wachsamkeit!
Strafloser Hort – und edeler
Ist Falkenweib und schön'r als er.

Chor:
Bunter Specht! lieber Specht!
Wie? wenn er Falk Dir wär'?

Wie wenn, dem Flügel nun und Blick
Und Geist im Staube ruht,
Mit Feuerflamme schnell zurück –
Rückkehrte Jugendblut? –
Und – und ein Luftzug kam und schwang
Den Falken frisch empor.

Chor:
Bunter Specht! schöner Specht! –
Wo sich – Herr – Specht – ver – lor.


Johann Gottfried Herder

Freitag, 17. September 2010

Der Traum eines Dervis


Ein Dervis sah im Traum den Himmel und die Hölle:
Hier traf er einen Mönch, dort einen König an.
In jener Welt allein erkläret unsre Stelle
Der Mensch wahrer Werth, da nichts mehr täuschen kann.
Er wird bestürzt, und fragt, wie sie dahin gekommen.
Ein Fürst im Paradies! Das scheint ihm wunderbar.
Der Todes-Engel spricht: Er war ein Freund der Frommen,
so wie der Geistliche des Hofes Schmeichler war.

Friedrich von Hagedorn

Donnerstag, 16. September 2010

Der Brahmane als Gans

Bildquelle: Wikipedia

»Höre«, sagte die Ehefrau zu ihrem Mann. »Morgen bin ich zu einem Fest eingeladen. Bring mir einen Kranz von blauen Lotusblumen. Mir ist es gleich, woher du die beschaffst. Bringst du sie nicht, so verlasse ich dich.«

Da der Mann sehr an seiner Gattin hing und ihr alles durchgehen ließ, begab er sich an den königlichen Teich und versuchte, blaue Lotusblumen zu stehlen, die in Indien damals noch selten waren. Dabei wurde er aber von den Wächtern erwischt. Befragt, wer er sei, antwortete er »Ich bin eine Gans«. Das half ihm jedoch nicht, man nahm ihn fest, warf ihn in den Kerker und führte ihn am nächsten Morgen vor den König. Dort schrie er laut wie eine Gans und antwortete nicht auf die Fragen, die man ihm stellte.

Da hieß der König allen zu schweigen, drang selbst in den Mann und erfuhr so nach und nach alles. Er empfand Mitleid mit dem Gatten der harten Ehefrau und ließ ihn laufen.

Horst-Dieter Radke
(nacherzählt nach einer Übersetzung von Dr. Hans Schacht, Lausanne, 1918)

Mittwoch, 15. September 2010

Die Fabel von den Fröschen



Die Frösche hatten einen König!
Wir sind ein großes Volk! Er hat für uns zu wenig
Verstandesfähigkeit, und seine schöne Frau
Ist keine Königin, wie wir sie haben wollen
Seht! Sie beherscht den Mann, und ist ihm viel zu schlau,
Sie taugen beyde nichts, sie sollen
Herunter von dem Thron, sie sitzen zu bequem!
Und kurz: Uns Fröschen ist kein König angenehm,
Wir können wohl uns selbst regieren
Wir brauchen keine Majestät!
Wir alle sind uns selbst die Majestät! Wir haben
Des Frosches edles Recht begraben,
Laßts, sprach ein weiser Frosch, laßts wieder auferstehn!
Ja! quakten Tausende, Ja! ja! das muß geschehn!
Gequakt, gethan! die Quaker fiengen
Den König, sperrten ihn in einen Kefig ein!
Er soll nicht mehr der König seyn!
Koaxte man, ermordete den besten
Der Könige, beging die größten
Schandthaten! Tausend Könige
Regierten, tausend! Ach! und Weh!
Erscholl umher im Königreiche!
Man sah zehntausend dünne Bäuche,
Heißhunger übte die Gewalt
Die Gott der Herr ihm gab! das Königreich verarmte
Vier Jahre noch nicht alt
War's aufgerieben! Gott erbarmte
Sich gnädigst seiner, gab den Einen König bald
Dem irrgeführten Volke wieder!
Man sang: Es wird schon gehn
Wie wütend nun nicht mehr, sang neue Freudenlieder,
Dem Einen Könige, man schrieb
(Die Frösche schreiben auch, wie wir, Gedanken nieder,)
Was nun nicht mehr verborgen blieb!

Nun ist euch wohl, ihr Herrn! ihr Frösche! nun ins Freie!
Von tausend Königen nicht mehr ins Netz gekörnt!
Koaxt so viel ihr wollt, nun wieder, ach! und lernt;
Daß Einer besser ist, als tausend, und als Zweye!

Aus »Fabeln fürs Jahr 1795«, Erstdruck 1795.

Johann Wilhelm Ludwig Gleim

Montag, 13. September 2010

Indische Sprüche

58.

Ein Großer auch wird nicht geehrt, als bis er Unheil angerichtet;
Die Schlangen, nicht den Garuda *) verehrt man, welcher sie vernichtet.

*) Ein fabelhafter Vogel, deß Gottes Vischnu Reittier

Indische Sprüche
Aus dem Sanskrit metrisch übersetzt
von
Ludwig Fritze
Leipzig 1880

Sonntag, 12. September 2010

Wenn Alles sitzen bliebe ...

Wenn Alles sitzen bliebe,
Was wir in Haß und Liebe
     So von einander
schwatzen;
Wenn Lügen Haare wären,
Wir wären rauh wie Bären
     Und hätten keine
Glatzen.

Wilhelm Busch

Samstag, 11. September 2010

Lebensworte


Zu dem vollen Rosenbaume
sprach der nahe Leichenstein:
»Ist es recht, in meinem Raume
groß zu thun, und zu verhüllen
meiner Sprüche goldnen Schein,
die allein mit Trost erfüllen?«

»Auch aus Grüften, sagt die Blüthe,
ruft mich Gottes Macht und Güte,
heller noch denn todte Schriften
sein Gedächtniß hier zu stiften.
Und ich blühe tröstend fort,
ein lebendig Gotteswort!«

Abraham Emanuel Fröhlich

Freitag, 10. September 2010

Der gierige Schakal


In einem Walde kam ein Jäger von der Jagd; er trug eine gespannte Wildfalle. Da sah er einen Eber, legte den Bogen hin und Fleisch darauf und lief den Eber mit einem Spieß an; er tötete ihn zwar, wurde aber selbst von dessen Stoßzähnen so getroffen, daß er starb. Dies sah aus der Ferne ein Schakal. Er näherte sich, und obgleich er sehr hungrig war, so wollte er vorerst den großen Vorrat an Fleisch, den der Eber und der Jäger darboten, nicht anrühren, sondern machte sich an das Fleisch, welches auf dem Boden lag. In dem Augenblick schnellte der Bogen los, und der Pfeil tötete den Schakal. Also soll man nicht Vorräte anhäufen wollen.

aus:
Indische Erzählungen
Aus dem Sanskrit zum erstenmal ins Deutsche übertragen
von Dr. Hans Schacht
Privatdozent an der Universität Lausanne, 1918

Donnerstag, 9. September 2010

Indische Sprüche

9.

Wer Großes zu erreichen wünscht, von dem wird erst ein Plan erdacht;
Der Löwe duckt sich, dann erwürgt den Elephanten er mit Macht.


Indische Sprüche
Aus dem Sanskrit metrisch übersetzt
von Ludwig Fritze
Leipzig 1880

Mittwoch, 8. September 2010

Die Nüsse


Zwei müde Wandrer sah'n an ihrer Straße Rand
Einst einen Baum, der voll der schönsten Nüsse stand.
Der Hunger reizte sie, die Früchte zu genießen,
Sie füllten erst den Hut, die Taschen dann mit Nüssen.
Dem einen Städter war die Frucht ganz neu;
Er biß die Rinde mit der Schal' entzwei,
Und sagte: »Pfui, wie derb und bitter ist die Rinde!
Ist's möglich, daß der Mensch die Nuß genießbar finde?
Für einen Esel, für ein Schwein
Mag dies Gericht wohl lieblich seyn!
Dir schwör' ich, daß es mir wie Gall und Wermut schmeckte!
Sieh da, wie's mir die Hand und Kleid befleckte!«
Der Andre sprach: »Woher der Ekel - bist du toll?
Wer wird auf eine Frucht von Färb' und Hülste schließen?
Du wirst den Kern erst kosten müssen,
Weil nicht das Auge sie, der Gaumen schätzen soll.«
Dann lehrt er ihn, wie man die Nüsse,
Von Rind' und Schale los, genießt;
Zerdrückt zwey Nüsse mit der Hand,
Und bieth ihm dar, die schönen weißen Kerne,
Daß er daraus den Wert der Nüsse kennen lerne,
Die nun sein Freund vortrefflich fand.

Laß, Jüngling, diese Fabel dir zur Lehre dienen:
Die Menschen schätze nie nach Kleidern, Geld und Mienen.
Dring auf den Kern - aufs Herz und den Verstand.

Vaterländische Unterhaltungen
Ein belehrendes und unterhaltendes Lesebuch
zur
Bildung des Verstandes, Veredlung des Herzens, Beförderung der Vaterlandsliebe und gemeinnütziger Kenntnisse
für die Jugend Österreichs
von Leopold Chimani
Vierter Teil
Wien 1815, Im Verlage bey Anton Doll

Der Tod des Dschuang Dsi


Dschuang Dsi lag im Sterben, und seine Jünger wollten ihn prächtig bestatten.

Dschuang Dsi sprach: »Himmel und Erde sind mein Sarg, Sonne und Mond leuchten mir als Totenlampen, die Sterne sind meine Perlen und Edelsteine, und die ganze Schöpfung gibt mir das Trauergeleite. So habe ich doch ein prächtiges Begräbnis! Was wollt ihr da noch hinzufügen?«

Die Jünger sprachen: »Wir fürchten, die Krähen und Weihen möchten den Meister fressen.«

Dschuang Dsi sprach: »Unbeerdigt diene ich Krähen und Weihen zur Nahrung, beerdigt den Würmern und Ameisen. Den einen es nehmen, um es den andern zu geben: warum so parteiisch sein?«

Dschuang Dsi
Übers.: Richard Wilhelm