Montag, 14. Dezember 2009

Die Lichtscheuen - Erste Fabel

Ein Kauz, in düstern Synagogen
Des Oberuhu’s auferzogen,
Kam früh, als Nacht in Dämmrung schwand,
Vom Dom des Münsters abgesandt,
Zum König Adler angeflogen:
Der, edler Ahnherrn edler Sohn,
Einnahm mit Glanz den Felsenthron
Der Vogelstämm’ in Land und Wogen.

Treu, krächzt’ er, treu der Huldigung,
Und treu des Nachtgestirns im Äther,
Von uns mit Nachtgebet ersichter,
Hochheiliger Bekräftigung!
Rüg’ ich, gesandt vom Rath der Väter,
Den fast zu gellenden Trompeter,
Wohl kaum mit deiner Billigung,
so überschwänglich ausgekrähter
Aufklärung und Verneuerung,
Den kecken Hahn, den Missethäter,
Dir, unser König, als Verräther!
Wann noch dein wohlbeherrschter Staat,
Nach sanftem Thun gewohnter That,
Sanft schläft und träumet und verdauet,
Und unser Nachtlied früh’ und spat,
Wovor allein dem Schalke grauet,
Den Frommen, welcher wacht, erbauet.
Schnell kräht uns der Illuminat
Die Sonn’ empor, um aufzuklären,
Und Ruh’ und Andacht uns zu stören.
Fink, Lerche, Schwalb’ und Meis’ empören
Gefild’ und Wald in freien Chören.

Man kann sein eigen Wort nicht hören!
Die tolle Rotte spricht gar Hohn
Der mystischen Religion,
Der wir, seit undenkbarem Alter
Des hehren Nachtaltars Verwalter,
Andacht und Opferbrauch geweiht:
Daß, gegen alle Mißgestalter,
Wir ewig siegreich, als Erhalter
Der Nachtreligion im alter
Und ungefälschter Lauterkeit,
Zurück den Schwarm der Ungerechten,
Die (nicht mit Adleraugen, traun!)
In Blendung unvorsichtig schaun,
Zurück vom Schein zur Wahrheit brächten,
Und von des heitern Lichts Vertraun
Zu dunkler Ahndung holdem Graun.
Schwermüthig, frommer König, sinnet
Der Vater Uhu Nacht und Tag
Auf hohem Glockenstuhle wach,
Indem er Rath auf Raht entspinnet,
Und, was er abbrach, neu beginnet:
Damit des Leichtsinns schnöde Brut,
Die wähnet, alles werde gut,
Was man im Lichte denkt und thut,
Altgläubig nehm’ uralter Satzung
Geheimnisvolle Seelenatzung
und stets, o Königs wohlgemuth
In seiner und in deiner Hut,
Darbringe treulich Glut und Blut
Dem Heiligthum und Thron zur Schatzung!
Frei denken in Religion,
Heißt frei auch handeln mit dem Thron.
So scholl aus düsterm Tabernakel
Des weisen Erzuhu’s Orakel!
Ja, König, strafst du nicht, so drohn
(Das Leichenhun sah Vorspuk schon,
Und manch bedenkliches Mirakel1)
So drohn dem Münster und dem Staat
Aufruhr, Empörung, Hochverrath.
Hast du geargwohnt, was des tollen
Rohrdommels Graunausrufe wollen,
Die dumpf wie ferne Donner rollen?
Was wohl in manchem Schreiertrupp,
In manchem schlaugedämpften Klub,
Die Unzufriednen schmähn und grollen!
Wie wohl, zum Beispiel, Kräh’ und Staar,
Und andres Völklein, das in Schaar
So gerne sich zusammenrottet,
Des Uhu’s und des Adlers spottet:
Des großen Adlers heimlich zwar,
Des armen Uhu’s offenbar!
Selbst, die, von stiller Nacht begeistert,
Bei Nacht der Herzen sich bemeistert,
Die Nachtigall singt ohne Scheu
Am hellen Tag Aufklärungslieder;
Daß ohne Scheu da Waldgefieder
Aufklärung nachsingt hin und wieder
Aufklärung? nein Aufklärerei!
O sagt’ ich alles, was mir leise
Ein paar verschmitzter Fledermäuse,
Die oft in Dämmrung spähn, geraunt;
Du selber hörtest tieferstaun’t!
Herr König, laß dir doch gefallen:
(Wir Kauz’ und Eulen flehn gesammt!)
Dem Hahn und seinen Schreiern allen,
Die immerfort Aufklärung hallen,
Zum Bändiger, im Censoramt
Den frommen Uhu zu bestallen!

Der Adler that, als hört’ er nicht,
Und sah in’s junge Morgenlicht.


Johann Heinrich Voss

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