Donnerstag, 10. September 2009

Die 65. Fabel: Der Bauer, der Drache und der Fuchs


Ein Bauer hörte einsmals auf seinem Wege ein klägliches Geschrey, als wenn jemand in äussersten Noth wäre. Er erschrack darüber, und kehrte sich anch der Gegend, wo der Schall herkam. Dieser ort war eine Höhle, welche mit einem Steine zugemacht war. Da er nun diese Höhle erreichet hatte, so hörte er folgende Worte ganzd eutlich: Ach! ist denn niemand vorahnden, der sich über einen elenden Gefangenen erbarmen will, den man unschuldiger Weise in dieses Gefängniß eingechlossen hat, in welchem ich umkommenmuß! Diese Worte wurden so oft und mit einer so kläglichen Stimme wiederhohlet, daß der Bauer zum Mitleiden bewogen ward, und sich vorsetzte, den Gefangenen zu retten. Dieses geschah dadurch, daßer den Stein, welcher vor dem Eingange der Höhle lag, auf die Seite wälzte. Aber, statt eines gefangenen Menschens, sah er mit grossem Schrecken einen grossen und hässlichen Drachen herauskommen, welcher seinen Rachen sofort weit aufsperrte, um den Bauern zu verschlingen, und dadurch seinen Hunger zu stillen, den er etliche Tage ausgestanden hatte. Der Bauer fiel auf die Knie, und stellte dem Drachen mit beweglichen Worten vor, wie unbillig er solchergestalt mit ihm verführe, da er ihm doch das Leben gerettet hätte; und ob das die Dankbarkeit sey, die er seinem Erretter schuldig wäre? Der Drache schüttelte den Kopf und sagte: Was Dankbarkeit? diese Tugend findet unter euch Menschen keine Statt. Der Bauer sagte: Er thäte denen Menschen mit diesem Vorwurfe unrecht. Und da sich eben ein altes Pferd sehen ließ: so bat der Bauer, man mögte es in dieser Sache urtheilen lassen. Der Drache war es zufrieden. Aber da die Sache von denen Partheyen mit grosser Wohlredenheit vollständig war vorgetragen worden: so fiel der Richter dem Drachen bey, indem er durch sein Beyspiel erwies, daß keine Dankbarkeit bey denen Menschen zu finden wäre. Er gieng seinen ganzen Lebenslauf durch, erzählte, was für Dienste er seinem Herrn gethan hatte, der ihn nun in seinem Alter durch Hunger umkommen liesse. Der Drache bedankte sich für das gute Urtheil, und öffnete seinen Schlund, den Bauer zu verschlingen. Der Bauer bat aufs neue um sein Leben, indem er vorgab, das Pferd wäre ein partheyischer Richter, und weil er eben einen alten magern Hund erblickte, so appellirte der Bauer an diesen. Der Drache sagte darauf: Wohlan, ich will dir das Maas vollmessen. Die Sache ward also vor dem neuen Richter abgehandelt, welcher aber die Undankbarkeit seines Herrn mit der schwärzesten Farbe abmalete, und darauf den Ausspruch des Pferdes bestätigte. Diese beyden Urtheile stürtzen den Bauer in die äusserste Verzweiflung. Und er würde stracks seyn aufgeopfert worden, wenn sich nicht ein Fuchs eingefunden hätte. Dieser verwunderte sich sehr, einen Drachen und einen Bauer in Gesellschaft anzutreffen, und er fragte nach der Ursache. Der Bauer erzählte darauf dem Fuchs, was ihm begegnet wäre, und bat den Drachen zu erlauben, daß der Fuchs mögte Richter zwischen ihnen beyden seyn, und er setzte hinzu: er wollte alsdann nicht mehr um sein Leben bitten, wenn der Fuchs mit der Meynung der vorigen Richter übereinstimmte. Der Drache wollte dieses lange nicht eingehen, zuletzt aber bequemte er sich doch dazu, weil er glaubte, er wäre eines günstigen Urtheils gewiß genung. Nachdem nun der Fuchs zum Richter, doch ohne weiteres Appelliren, war angenommen worden, zog er zuerst den Bauer auf die Seite, und fragte ihn, was für Belohnung er haben sollte, wenn er ihn retten würde? Der Bauer versprach ihm einen freyen Eingang in seinen Hof, nebst dem Ober- und Untergerichte über seine alten und jungen Hühner, Enten, Gänse u.d.g. Da der Bauer dieses Gelübde mit einem Eid versiegelt hatte, begab sich der Fuchs zum Drachen, und sagte zu ihm: Er zweifelte nun an der Richtigkeit der Sache nicht mehr, aber es wäre nöthig, daß man, bevor er ein gegründetes und gesetzmäßiges Urtheil spräche, sich zurück verfügte, um die Höhe in Augenschein zu nehmen. Sie verfügten sich darauf alle drey zurück, und da sie an die Höhle gekommen waren, sagte der Fuchs: Der Bericht, der mir von dieser Sache ist ertheilet worden, kommt mir ganz unglaublich vor; denn ich kann nicht begreifen, daß in dieser Höhle Raum für einen so grossen Drachen wäre. Ich will dir zeigen, sagte der Drache, daß der Raum für mich groß genung ist. Er kroch darauf in die Höhle, um den ungläubigen Richter zu überzeugen. Allein, kaum war er darinnen, so gab der Fuchs dem Bauer ein Zeichen, damit er den Stein wieder vor die Höhle wälzte. Dieses geschah, und der Drache fieng an, sich wieder eben so jämmerlich anzustellen, wie zuvor; aber vergebens. Der Bauer verließ nunmehr den Fuchs nach abgelegter Danksagung und Erneuerung seines Gelübdes. Aber, da er zu Hause war, und dieses schädliche Gelübde überlegte, beschloß er, solchem keinesweges nachzukommen, und, nachdem er in diesem Vorsatze von seiner Frau war bestärket worden, so bewaffnete er sich gegen die Ankunft des Fuches, und empfieng seinen Wohlthäter solchergestalt, daß er kaum mit dem Leben davon kam. Der Fuchs sagte darauf: Niemals kann ein Richter schlechter besoldet werden. Keine Geschichte kann die Undankbarkeit der Menschen stärker als diese beweisen; denn daß der Drache Recht hat, dieses können mein Rücken und meine Glieder bezeugen.

Diese Fabel lehret, daß die Wohlthaten gemeiniglich entweder vergessen oder schlecht belohnet werden.

Ludvig Holberg

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