Montag, 4. Mai 2009

Die Schildkröte und die beiden wilden Enten



Eine Schildkröte … lebte zufrieden in einem See mit einigen wilden Enten. Es kam ein Jahr der Dürre, so, daß kein Wasser in dem See blieb. Die Enten sahen sich genöthigt davon zu ziehen. Sie gingen daher zu der Schildkröte, ihr Lebewohl zu sagen. Diese machte ihnen den Vorwurf, daß sie sie zur Zeit des Unglücks verließen, und beschwur sie, sie mit sich zu nehmen.


Die Enten erwiederten: nicht ohne Bekümmerniß trennen wir uns von dir: aber wir sind dazu genöthigt. Was deinen Vorschlag anbetrifft, dich mit uns zu nehmen, so haben wir einen zu langen Zug zu machen, als daß du uns folgen könntest, da du nicht fliegen kannst. Versprichst du uns jedoch, kein Wort unter Wegs zu sprechen, so wollen wir dich tragen. Wir werden Leuten begegnen, die uns anreden. Du wirst ihnen antworten wollen, und dies wird die Ursach deines Unglücks seyn.

Nein, sagte die Schildkröte, ich will alles thun, was euch beliebt.

Nun ließen die Enten die Schildkröte einen kleinen Stock in der Mitte zwischen ihre Zähne nehmen, und baten sie, ihn fest zu halten. Zwei Enten faßten den Stock, jede an einem Ende, un flogen mit der Schildkröte in die Höhe. Wie sie über einer Stadt waren, erstaunten die Einwohner, welche dies sahen, über die Neuheit des Schauspiels, und riefen alle auf einmal. Dies unverständliche Geschrei hörte die Schildkröte mit Ungeduld. Endlich konnte sie das Stillschweigen nicht mehr ertragen. Die Worte schwebten ihr auf der Zunge: ihr Neider ärgert euch, uns nach dem glücklichen Lande fliegen zu sehen: aber, wie sie den Mund öffnete, fiel sie zur Erde und war selbst Ursach an ihrem Tode.


Dies Beispiel zeigt, daß man die Ermahnungen von Freunden nicht verachten muß.

Des Braminen Pilpai
Weisheit der Indier, in Fabeln

Bearbeitet von F.A.L. Matthaci

Pastor in Varlosen und Löwenhagen

Hannover, 1826

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