Samstag, 31. Januar 2009

Hang und Zwang


In Nacht und Schacht beisammenlag
der Diamant und Kieselstein;
und auf des Bergmanns Hammerschlag
gab auch der Kiesel Funkenschein.
Da sprach er zu dem Diamant:
»Auch mir ist Farbenglanz und Tag;
ich bin dir gleich, nicht nur verwandt.«

Der aber sagt: »Nur in der Noth
wird dir ein Fünklein blasses Roth.
Stets brennt des Edelsteines Pracht
Im Sonnenlicht und in der Nacht.«

Abraham Emanuel Fröhlich

Freitag, 30. Januar 2009

… und sich lediglich an den Verstand richtet

Also nicht die Tendenz zu lehren an sich, und auch nicht die beabsichtigte Einwirkung auf bestimmte im Leben eines Volkes oder Menschen vorgekommene Zustände macht, daß die Fabel weniger poetischen Werth hat als ein anderes Gedicht (denn welcher Dichter will nicht mit seinem Gedicht auch gewisse Lebensansichten oder Erkenntnisse veranschaulichen und welcher wird nicht durch vorkommende Ereignisse, welche ihn stärker berührten, zur Wahl eines Stoffes veranlaßt und bei dessen Bearbeitung gleitet?), sondern der Umstand, daß sie nichts mit den Empfindungen zu thun hat, keine Rührung, mithin auch keine Reinigung (Läuterung) irgend einer Leidenschaft, bewirken will, und sich lediglich an den Verstand richtet, macht die Fabel so wie auch die Parabel, zu einem prosaischen Gedichte.

Johann Adam Hartung
im Vorwort zu:
Babrios und die älteren Jambendichter
Leipzig 1858

Donnerstag, 29. Januar 2009

Insekten


Es wäre ein denkendes Wesen möglich, dem das Zukünftige leichter zu sehen wäre, als das Vergangene. Bei den Trieben der Insekten ist schon manches, das uns glauben machen muß, daß sie mehr durch das Künftige als durch das Vergangene geleitet werden. Hätten die Tiere ebensoviel Erinnerung des Vergangenen, als Vorgefühl des Künftigen, so wäre uns manches Insekt überlegen; so aber scheint die Stärke des Vorgefühls immer im umgekehrten Verhältnis mit der Erinnerung an das Vergangene zu stehen.

Georg Christoph Lichtenberg

Die, so den Esopum zum Meister ertichtet haben …

Doch mögen die / so den Esopum zum Meister ertichtet haben / vnd sein leben dermassen gestellet /vieleicht Vrsach gnug gehabt haben / nemlich / das sie als die weisen Leute / solch Buch / vmb gemeines Nutzes willen / gerne hetten jederman gemein gemacht (Denn wir sehen / das die jungen Kindern / vnd jungen Leute / mit Fabeln vnd Merlin leichtlich bewegt) vnd also mit lust vnd liebe zur Kunst vnd Weisheit gefürt würden / welche lust vnd liebe deste grösser wird / wenn ein Esopus / oder dergleichen Larua oder Fastnachtputz fürgestellet wird / der solche Kunst ausrede oder fürbringe / das sie deste mehr drauffmercken / vnd gleich mit lachen annemen vnd behalten. Nicht allein aber die Kinder / sondern auch die grossen Fürsten vnd Herrn / kan man nicht das betriegen / zur Warheit / vnd zu jhrem nutz / denn das man jnen lasse die Narren die Warheit sagen / dieselbigen können sie leiden vnd hören / sonst wöllen oder können sie / von keinem Weisen die Warheit leiden /Ja alle Welt hasset die Warheit / wenn sie einen trifft.

Martin Luther
Vorrede aus:
Etliche Fabeln aus Esopo verdeudscht

Dienstag, 27. Januar 2009

Schädlichkeit des menschlichen Mundes


Den Erbfeind unseres Volks hab’ ich dir jüngst gezeigt,
Mein Kind, sprach eine Zieg’; eins muß ich dir noch sagen:
Auch von den Menschen kannst du etwas nicht ertragen.
»Wie? Von den Menschen? Ey! Die sind uns ja geneigt.«
Je gütiger sie gegen uns dem Schein nach sind,
Je schädlicher ist auch ihr Gift, mein Kind.
»Was kann an ihnen denn so schädlich seyn?« - Ihr Mund:
Der ist uns Ziegen äußerst ungesund.
Vermeide ja der Menschen Mund.

Ist’s wahr, was unsre Ziege spricht?
Sie selbst und auch der Grieche muß es wissen,
Der ihr Geschichtbuch schrieb, ich weis es nicht.

Dies aber weiß ich: Parthenisten
That oft die kluge Mutter diese Lehre kund:
Mein Kind, vermeide ja der Menschen Mund.
Karl Wilhelm Ramler

Montag, 26. Januar 2009

Wo der Reinhart Fuchs (Renhart) entstand

Wäre also auch die zeit der verfertigung dieses gedichts nicht genauer zu ermitteln, die gegend worin es entsprang läßt sich mit ziemlicher sicherheit angeben. ich meine in Südflandern, wo schon damals die romanische der deutschen sprache eintrag zu thun begann, doch aber noch beide verstanden wurden; für höfischer galt jene.

Jacob Grimm
aus: »Reinhart Fuchs«, Berlin, 1834
Cap. III, LXIX

Sonntag, 25. Januar 2009

Der Kranich und das Füchschen


Ein Kranich und ein Füchschen waren zwei Freunde. Als die beiden Freunde zusammengingen, verfolgten sie Jäger. Als der Kranich diese kommen sah, sprach er zum Füchschen: »Uns verfolgen Menschen. Wohin sollen wir gehen?« Der Fuchs sprach: »Ich habe zwölf Schlauheiten, ich werde die Rettung schon finden, lass uns alle beide in meine Höhle kriechen.« Der Kranich stimmte seinem Freunde bei und kroch mit dem Fuchs zusammen in die Höhle. Die Menschen waren ihrer Spur gefolgt und gruben ihnen nach. Der Fuchs wusste sich nicht zu helfen und fragte den Kranich: »Wie viel Schlauheiten hast du denn?« »Nur eine einzige,« sagte der Kranich. Darauf fragte er den Fuchs: »Wie viel Schlauheiten hast du denn, Fuchs?« Der Fuchs sprach: »Sechs sind mir noch geblieben.« Als die Menschen bis zur Hälfte ausgegraben hatten und das Füchschen keine Rettung gefunden hatte, fragte es den Kranich: »Ist dir keine Schlauheit zugekommen?« Der Kranich sprach: »Ich habe immer nur noch eine Schlauheit.« Das Füchschen sprach: »Drei sind mir nur noch geblieben.« Die Menschen gruben und als sie ganz nahe gekommen waren, und als das Füchschen festsass, fragte es den Kranich: »Ach Freund, ist dir keine Schlauheit zugekommen?« Der Kranich sprach: »Ich habe immer nur eine Schlauheit.« Nachdem der Kranich so gesprochen, that er, als ob er tot daläge. Als die Menschen sie erreichten, sagten sie: »Der Fuchs hat einen Kranich gefangen, nehmt ihn und werft ihn bei Seite.« Als sie den Kranich fortgeworfen hatten, breitete der Kranich, der nur eine Schlauheit hatte, die Flügel aus und flog davon; den Fuchs, der zwölf Schlauheiten hatte, töteten sie und zogen ihm das Fell ab.

»Anstatt viel zu sein und Kehricht
sei nur wenig und sei Kunst.«

Seidel, A. (Hg.):
Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur
Verlag von Emil Felber, Weimar 1898, S. 168-169.

Samstag, 24. Januar 2009

Eine birmanische Fabel


Zu Schin-tai, dem Löwenkönige der Thiere, kamen alle Bewohner des Waldes, um ihre Huldigung darzubringen. Auch die kleine Ameise kam herbei, sich vor ihm zu verneigen, aber die Edelleute trieben sie verächtlich weg. Als der Ameisenkönig davon hörte, gerieth er in Zorn und schickte einen Wurm, sich in das Ohr des Löwen einzuschleichen und ihn zu quälen. Auf das erschreckliche Schmerzgebrüll kamen die Thiere von allen Seiten herbeigelaufen, boten ihre Dienste an und wollten den Feind bekämpfen, wo und wer er auch sei. Aber Keiner konnte Hilfe leisten. Zuletzt, nach vielen demüthigen Botschaften, ließ sich der Ameisenkönig bewegen, einen seiner Unterthanen zu schicken, der in das Ohr hineinkroch und den Wurm herausholte. Seit der Zeit haben die Ameisen das Privilegium, überall und an jedem Platze zu leben, während den anderen Thieren ihre Aufenthaltsorte angewiesen sind.

Bastian, Adolf
Erzählungen und Fabeln aus Hinterindien
In: Globus (Juli 1866), S. 83

Freitag, 23. Januar 2009

Der Eber und der Esel


Ein ausgeputzter Esel hatte die Unverschämtheit, sich über einen Eber lustig zu machen und ihn zu verspotten. Dieser, ergrimmt darüber, wies ihm schon die Zähne und war im Begriff, den Elenden für diesen Frevel hart büßen zu lassen; - plötzlich aber besann er sich: »Geh, du armseliger Wicht,« - rief er dem Esel zu - »und spotte meiner so viel du willst, ich werde darauf nicht achten; vergiß aber nicht, daß du ein Esel bist, und daß nur dieß allein dich gegen meine Rache schützt.«
Äsop

Donnerstag, 22. Januar 2009

Das Fischlein


»Fischlein! Fischlein! du armer Wicht,
Schnappe nur ja nach der Angel nicht!
Geht dir so schnell zum halse hinein,
Reißt dich blutig und macht dir Pein.
Siehst du nicht sitzen den Knaben dort?
Fischlein, geschwinde, schwimme fort!«

Fischlein mocht’ es wohl besser wissen.
Sahe nur nach dem fetten Bissen,
Meinte, der Knabe mit seiner Schnur
wäre hier so zum Scherze nur.
Da schwamm es herbei, da schnappt’ es zu.
Nun zappelst du, armes Fischlein du.

Wilhelm Hey

Mittwoch, 21. Januar 2009

Tierfabel im MIttelalter

… Die deutsche Litteratur zeigt für diese Dichtungsart erst Geschmack, nachdem gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts die Blüte der höfischen Dichtung vorbei war und die frei schaffende Phantasie die Leitung der Poesie an den Verstand abgegeben hatte. Der älteste Fabeldichter ist der Stricker; ihm folgt mit einer Edelstein genannten, um 1330 gedichteten Sammlung von 100 Fabeln der Berner Predigermönch Ulrich Boner, es ist das erste in deutscher Spruche gedruckte Buch; Bamberg 1461; dann Heinrich von Müglin, der seine Fabeln in lyrischer Strophenform dichtete, während die übrigen Fabeldichter das gewohnte Reimpaar anwendeten; auch in den Renner des Hugo von Trimberg sind vielfach Fabeln eingeschoben. Der ahd. Name für diese lehrhaften, ohne Zweifel von den Tierepen beeinflussten Tierfabeln, denen meist die Lehre gesondert beigefügt ist, ist bîspel, zu ahd. und mhd. das spei = Rede, Erzählung, Sage, woraus erst nhd. Beispiel wurde. Erst im 15. Jahrhundert kehrte man zu der ursprünglichen Form der Fabel zurück, zur Prosa, und zwar übersetzte der Ulmer Arzt Heinrich Steinhöwel sowohl die Fabeln des Äsop als den indischen Bidpai, den letztern unter dem Titel Buch der Beispiele der alten Weisen, und zwar aus einer lateinischen Bearbeitung, welche im 13. Jahrhundert Johann von Capua unter dem Titel directorium humanae vitae verfasst hatte. Steinhöwel's Äsop erschien vor 1480, das Buch der Beispiele 1483. Beide Bücher bewiesen durch die zahlreichen Neudrucke, die sie durch mehr als ein Jahrhundert hindurch erlebten, wie sehr jetzt die Zeit der Fabel geneigt war …


Götzinger, E.
Reallexicon der Deutschen Altertümer
Leipzig 1885., S. 975-976

Dienstag, 20. Januar 2009

Der Drache

In China lag das Volk vor einem ehrnen Drachen.
Ein Weiser sahs. Vergieb, sprach er, den Selbstbetrug,
O Gott! Es ist für dich der Ehre schon genug,
Daß sie dich nicht zum Menschen machen.

Gottlieb Konrad Pfeffel

Montag, 19. Januar 2009

Chinesische Tierfabeln sind selten

China besitzt keine Fabel-Litteratur, und besonders die Tierfabel ist in der chinesischen Litteratur als Gattung gar nicht vertreten. Jedoch finden sich in chinesischen philosophischen und historischen Werken aus alter Zeit einige hierher gehörige Stücke, welche ich im 12. und 13. Bande der in Hongkong erscheinenden Zeitschrift China Review ausführlich behandelt habe. Jedoch ist es mir mit der grössten Mühe nur gelungen, fünf dergleichen Tierfabeln zusammenzubringen. Sie gehören der Kunstlitteratur an, und wir haben daher nichts mit ihnen zu thun.

Auch in der modernen chinesischen Volkslitteratur spielt die Tierfabel nur eine kleine Rolle, so dass es mir merkwürdigerweise erst hier in Berlin, und zwar ganz zufällig, geglückt ist, einige derartige Erzeugnisse des chinesischen Volksgeistes zu entdecken.

Arendt, C.
Moderne chinesische Tierfabeln und Schwänke
In: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang (1891), S. 325

Sonntag, 18. Januar 2009

Fabelausstellung in Oldenburg

»Tierisch moralisch« heißt eine Ausstellung, die vom 22.2. bis 1.6.2009 in Oldenburg zeigen will, wie die Fabel ihren Weg aus dem Orient in den Okzident gefunden hat.

Auf der speziell für diese Ausstellung eingerichtete Homepage des Landesmuseum Oldenburg sind Informationen dazu zu finden, die neugierig machen.

Es wird die Erzählform der Fabel von den Anfängen im alten Orient (Sumer) bis zur Gegenwart gezeigt. Ein Schwerpunkt ist das Fabelbuch »Kalila wa-Dimna«, das eine arabische Variante des Panschatantra ist.

Horst-Dieter Radke

Die Schwalbe und das Meer


Eines Tages fand die Schwalbe, die ihre Jungen auf einem großen Blatt dem Meer anvertraut hatte, ihre Kinder nicht wieder. Die Fluten hatten das Blatt hinweg gerissen und die Jungen ertränkt. Aus Rache flog die Schwalbe zum Strand und holte ein Sandkorn, das sie ins Meer fallen lies. Dies machte sie so lange und so oft, bis das ganze Meer mit Sand gefüllt war.

Horst-Dieter Radke
Nacherzählung eines altägyptischen Märchens

Samstag, 17. Januar 2009

Grashüpfer und Wildgänse


Die folgende und letzte eigentliche Tierfabel von den Grashüpfern und den Wildgänsen will ich nur kurz ihrem Inhalte nach anführen, da sie in der Art der Erzählung wenig besonders Charakteristisches bietet.

Eine Schaar Grashüpfer vergnügt sich bei warmer Witterung in ausgelassenster Weise auf freiem Felde. Da fliegt eine Schar Wildgänse vorüber, die ermahnen die Grashüpfer, rechtzeitig an den Winter zu denken. Die Grashüpfer rufen ihnen zornig zu: »Geht Eurer Wege und stört uns nicht bei unseren Spielen, die Euch nichts angehen. Wir haben hier jetzt reichlich zu essen und zu trinken. Macht es doch nicht wie ein Hund, der auf den Mäusefang ausgeht, was doch nicht seines Berufs ist« (Dies ist, beiläufig gesagt, ein chinesisches Sprichwort). Im Spätherbst als es kalt geworden ist und die Grashüpfer erschöpft und zitternd auf der Erde liegen, kommt dieselbe Schar Wildgänse wieder vorüber. Die Grashüpfer rufen ihre Hilfe an, werden aber von den Gänsen mit höhnenden und strafenden Worten zurückgewiesen.

Die Gegenüberstellung der Grashüpfer mit wilden Gänsen will uns weniger einleuchtend erscheinen, als die der Cicade und Ameise in der bekannten äsopischen Fabel, jedoch bietet die wilde Gans insofern immerhin einen genügenden Anhalt für die Rolle, die ihr in unserer Fabel zugewiesen ist, als sie den der Jahreszeit angemessenen Aufenthaltsort sich selbst zu suchen versteht.

Quelle: Arendt, C.
Moderne chinesische Tierfabeln und Schwänke.
In: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang (1891), S. 328.

Freitag, 16. Januar 2009

Die Wildgans und der Igel


Auf der Reise nach Süden machen die Wildgänse Rast auf einer Wiese. Eine Gans entfernt sich ein wenig von den anderen, um mit dem Igel zu plaudern.
»Na, alter Knabe, wieder auf der Suche nach Gestrüpp und einem Versteck vor dem frostigen Winter?«
»Nicht nötig, nicht nötig!«, antwortet der Igel verärgert. »Wenn’s so weit ist, finde ich überall eine Ecke und muss nicht mit Mühe und Schweiß vor Herrn Frost davonlaufen.«
»Wer läuft denn davon?«, rechtfertigt sich die Gans. »Wir ziehen dorthin, wo es warm ist und uns der strenge Herr nicht folgen kann. Sozusagen auf Urlaub ziehen wir davon.«
»Mir folgt der Winter ebenfalls nicht in meine Strauchecke«, murmelt der Igel, während er einen fetten Regenwurm verschlingt, den er geschickt aus der Erde gezogen hat. »Mein Fett und das Laub halten ihn fern, und erst die Frühlingssonnenstrahlen holen mich wieder hervor. Solange hab’ ich Urlaub und das, ohne weite Wege zu gehen.«
»Wir gehen auch nicht, wir fliegen!«, versucht die Gans erneut ihre Situation positiv darzustellen.
»Natürlich!«, sagt der Igel mit einem hinterlistigen Augenzwinkern. »Direkt in die Schrotschüsse der Jäger.« Dreht um und eilt auf seinen kurzen Beinen davon.
Die Gans ist eine Weile stumm und kehrt dann zu ihrer Gruppe zurück. Dabei murmelt sie: »Wir können, wenn’s drauf ankommt, so hoch fliegen, dass kein Schuss uns erreicht. Aber kann er so sicher über die befahrene Straße laufen, dass kein Fahrzeug ihn plattwalzt?«
Horst-Dieter Radke

Donnerstag, 15. Januar 2009

Fabula

[lateinisch], Erzählung, Sage, Fabel, Schauspiel.

Mittwoch, 14. Januar 2009

Der Affe

Ein Affe sah ein Paar geschickte Knaben
Im Brett einmal die Dame ziehn,
Und sah auf jeden Platz, den sie dem Steine gaben,
Mit einer Achtsamkeit, die stolz zu sagen schien,
Als könnt er selbst die Dame ziehn.

Er legte bald sein Mißvergnügen,
Bald seinen Beifall an den Tag;
Er schüttelte den Kopf itzt bei des einen Zügen,
Und billigte darauf des andern seinen Schlag.
Der eine, der gern siegen wollte,
Sann einmal lange nach, um recht geschickt zu ziehn;
Der Affe stieß darauf an ihn
Und nickte, daß er machen sollte.

»Doch welchen Stein soll ich denn ziehn,
Wenn dus so gut verstehst?« sprach der erzürnte Knabe.
»Den, jenen oder diesen da,
Auf welchem ich den Finger habe?«
Der Affe lächelte, daß er sich fragen sah,
Und sprach zu jedem Stein mit einem Nicken: Ja.
---
Um deren Weisheit zu ergründen,
Die tun, als ob sie das, was du verstehst, verstanden:
So frage sie um Rat. Sind sie mit ihrem Ja
Bei deinen Fragen hurtig da:
So kannst du mathematisch schließen,
Daß sie nicht das geringste wissen.

Christian Fürchtegott Gellert

Dienstag, 13. Januar 2009

Momus und Cupido


An eine unverheiratete Dame

Du bist ein sehr geschickter Schütze,
Sprach Momus 1) zum Cupido 2): das ist ausgemacht;
So treffen nicht des Donners gezackte Blitze,
Nicht Phöbus 3) tödliches Geschoss, als Tag und Nacht
Dein kleiner Pfeil. Doch sage mir, furchtbares Kind!
Da Mars, Neptun und Zeus von dir verwundet sind,
Warum du es nicht wagst auf Pallas 4) Herz zu zielen. –
Man sagt, die sey zu klug, die tauge nicht zum Spielen.

Karl Wilhelm Ramler

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1) griech. Gott des Spotts
2) (andere) Bezeichnung für den römischen Liebesgott Amor
3) griech. Gott des Schreckens
4
) Pallas Athene

Montag, 12. Januar 2009

Der Fuchs im Bildersaal …

Der Fuchs im Bildersaal: »O schönes Angesicht!
Wie Schad', daß es nicht spricht!«
Der Fuchs im Weibersaal: »O schönes Angesicht!
Wie Schade, daß es spricht!«

Johann Gottfried Herder

Sonntag, 11. Januar 2009

Die bîschaft

Wer die bîschaft merken wil,
der setz sich ûf des endes zil.
der nutz lît an dem ende gar
der bîschaft, wer sin niemet war.


Ulrich Boner
»Vom Ende diss Buoches«
aus: Der Edelstein

Samstag, 10. Januar 2009

Gustav Klimt: Die Fabel

Quelle: http://www.zeno.org - Zenodot Verlagsgesellschaft mbH

Gustav Klimt (1862 - 1918), bekanntester Vertreter des Wiener Jugendstils, stellt in seinem Gemälde »Die Fabel« selbige als nackte junge Frau dar, kaum mit einem Tuch bekleidet, umgeben von Löwe, Störchen, Fuchs und Mäusen. Der leidvolle Blick des Fuches, weil er aus der langhalsigen Flasche nicht trinken kann - anders als der Storch - korrespondiert gut mit der kraftvollen Ruhe des Löwen, der vor der Fabel liegt und ihr so königlichen Schutz gewährt.

Horst-Dieter Radke

Freitag, 9. Januar 2009

Apolog

Mit dem Begriff Apolog wurden ursprünglich eine märchenhafte Erzählung, später lehrreiche Fabeln mit moralischem Inhalt bezeichnet. Besonderes Merkmal ist eine Lehre (Moral) am Schluss.

Hegel grenzt allerdings den Apolog in seinen »Vorlesungen zur Ästhetik« von der Fabel ab (Die nähere Gliederung nun dieser Arten wollen wir so machen, daß wir zuerst von der Fabel, sodann von der Parabel, dem Apolog und Sprichwort handeln und mit der Betrachtung der Metamorphosen schließen.) setzt ihn an anderer Stelle allerdings mit der Parabel gleich (Der Apolog drittens kann für eine Parabel angesehen werden…).

Horst-Dieter Radke

Donnerstag, 8. Januar 2009

Die Schnecke


Zum erstenmal kroch eine Schnecke,
Das schönste Kunststück der Natur,
Aus der verborgnen Fliederhecke,
Die sie gebahr auf Tempes Flur.
Hier saß auf weichen Lotusblättern
Der Phönix ihrer jungen Vettern.
Sie stutzt, sie gafft ihn staunend an
Und nickt ihm Dank, als er sie grüßet,
Doch der versuchtere Galan
Rückt näher, kömmt und sieht und küsset.
Das Bäschen schaudert und verschließet
Sich schnell in ihr verschanztes Haus.
Allein itzt schien es ihr zu enge,
Es war als zögen hundert Stränge
Sie aus der finstern Gruft heraus.
Kaum schlüpft sie aus der bunten Schale,
So küßt er sie zum andernmale.
Sie sträubt sich und mit scheuem Blick
Glitscht sie in ihr Castell zurück;
Doch dasmal nur mit dem Gesichte.
Ihr Busen winkt dem losen Wichte
Noch kühner als zuvor zu seyn.
Er wars. – Sie biß ihn doch? – Ach nein!
Sie bebte nur durch alle Glieder,
Und schäumte Zorn, doch blos zum Schein.
Nach zwo Minuten kam sie wieder.
Zwar grollt noch ihr Gesicht; allein
Der Lecker küßte seine Falten,
Und sie zog blos die Augen ein,
Die wir getäuscht für Hörner halten.
Bald aber zuckt sie gar nicht mehr,
Und küsset lieber noch als er.

Wär ich ein Schalk, ich würde schwören
Daß junge Mädchen Schnecken wären.
Gottlieb Konrad Pfeffel

Mittwoch, 7. Januar 2009

Der Bullenbeißer und das Windspiel

Ein tapfrer Bullenbeißer, den mit eigner Hand
Ein Junker an den Thorweg band,
lag harmlos einst im heitern Sonnenschein,
Und spielte still mit seiner Kette.
Da trat die flüchtige Finetre,
Ein Windspiel, vor ihn hin: Macht dies denn keine Pein,
So fragte sie, zur unverdienten Schande
Der Fessel hier verdammt zu seyn?
Du bist ja stark genug: zerbrich die Bande! -
Ich thue, wie du siehst, noch mehr, versetzet er:
Die Kunst, die Ketten, die wir fühlen,
Zu brechen, ist noch nicht so schwer,
Als die -- damit zu spielen.

Karl Wilhelm Ramler

Dienstag, 6. Januar 2009

Die geschwätzige neue Art

Daß, bey den Alten, die Aesopische Fabel nicht zu dem Gebiete der Poesie, sondern der Rhetorik gerechnet worden, hat G.E. Lessing in s. Abhandlung von dem Vortrag der Fabeln, S. 222. Ausg. von 1777 bereits bemerkt; allein, daß erst daraus, daß die Neuern sie blos als Gedicht ansehen, auch die geschwäzige neuere Art sie zu erzählen, und die Zierrate in dem Vortrage derselben entsprungen sind, wird, meines Bedünkens, durch eine Stelle in des Priscians Praeexercitamentis rhetor. ex hermogene (ap. Putsch. S. 1330) widerlegt, wo schon von zweyerley Arten ihres Vortrages, breviter und latius, gesprochen, und jede mit Beyspielen belegt wird.

Johann Georg Sulzer
Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzelnen,
nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden,
Artikeln abgehandelt von

Zweyter Theil
Neue vermehrte dritte Auflage
Frankfurt und Leipzig, 1798

Montag, 5. Januar 2009

Wann ist eine Erdichtung eine Fabel?

Ich fasse daher alles zusammen und sage: Wenn wir einen allgemeinen moralischen Satz auf einen besondern Fall zurückführen, diesem besondern Falle die Wirklichkeit erteilen und eine Geschichte daraus dichten, in welcher man den allgemeinen Satz anschauend erkennt, so heißt diese Erdichtung eine Fabel.

G.E.Lessing
Abhandlungen über die Fabel
I. Vom Wesen der Fabel

Sonntag, 4. Januar 2009

The Northwind and the Sun


The North wind and the Sun disputed as to which was the most powerful, and agreed that he should be declared the victor who could first strip a wayfaring man of his clothes. The North Wind first tried his power and blew with all his might, but the keener his blasts, the closer the Traveler wrapped his cloak around him, until at last, resigning all hope of victory, the Wind called upon the Sun to see what he could do. The Sun suddenly shone out with all his warmth. The Traveler no sooner felt his genial rays than he took off one garment after another, and at last, fairly overcome with heat, undressed and bathed in a stream that lay in his path. Persuasion is better than Force.

George Fyler Townsend (nach Äsop)

Samstag, 3. Januar 2009

Der Bauer im Weingarten


Ein Bauer grub einmal in seinem Weingarten,
Verlor dabei die Hack’ und als er nachforschte,
Ob nicht der Dieb sei unter seinen Arbeitern,
So leugnet jeder, und er kann sich nicht helfen,
Führt alle hin zur Stand, und läßt sie dort schwören.
Denn auf dem Lande wohnen nur die einflält’gen
Gottheiten, glaubt man: innerhalb der Ringmauern
Sind die die Alles wissen und die Wahrhaften.
Doch als sie stehend hinterm Thor die Füß’ wuschen
An einem Quell und ihre bündel ablegten,
Da ruft ein Herold: “Tausend Drachmen dem, welcher
Den Räuber, der den Gott bestahl, uns anzeigtet!”
Und er, das hörend, spricht: Ich komm’ umsonst also:
Wie soll der Gott wohl kennen fremde Spitzbuben,
Der seine eigenen Diebe selbst nicht ausfindet,
Und um Belohnung Menschen sucht, die’s anzeigen?

Babrios
Übersetzung: Johann Adam Hartung
Leipzig 1858

Freitag, 2. Januar 2009

Die Fabel

Die Erzählung einer geschehenen Sache, in so fern sie ein sittliches Bild ist.

Johann Georg Sulzer
Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzelnen,
nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter
auf einander folgenden, Artikeln …

Zweyter Theil
Frankfurt und Leipzig, 1798

Donnerstag, 1. Januar 2009

Harmonie der Sphären

Ein Jüngling las von ungefehr
Von einer Harmonie der Sphären
Im Plato. Ha! die muß ich hören,
Rief er, und bat den Jupiter,
Ihm sein Verlangen zu gewähren.
Umsonst sprach dieser: junger Thor!
Das göttliche Concert der Sphären
Ist nicht für eines Menschen Ohr!
Er ließ nicht ab, ihn zu beschwören,
Bis Zeus einst die Geduld verlor,
Und sich entschloß, ihn zu erhören.
Er rühret seinen Scheitel an;
Der Jüngling hört durch alle Himmel,
Und was? ... Ein gräßliches Getümmel.
Ein tausendstimmiger Orkan,
Bewehrt mit Graus und Untergange,
Und alle Donner durch die Hand
Des Rächers auf die Welt gesandt,
Sind gegen diesem Rundgesange,
Dem Summen einer Biene gleich.
O Zeus! was lässest du mich hören?
So rief der Jüngling starr und bleich:
Ist das die Harmonie der Sphären?
So brüllt die Hölle nach dem Raub:
Ha, mache mich viel lieber taub,
Du fürchterlicher Gott der Götter!
Itzt rufet Zeus aus einem Wetter:
Erkenne, blödes Erdenkind,
Daß Menschen keine Götter sind.
Du hörst ein schreckendes Getümmel,
Und ich – die Harmonie der Himmel.

Gottlieb Konrad Pfeffel