Sonntag, 30. November 2008

Die Götter und die Bäume


Der Vater aller Götter wollte,
Daß jeder Gott und jede Göttin sich
Von allen Bäumen einen Baum
Erwählen und beschützen sollte.
Der Eichbaum, sprach er, ist für mich!

Apollo nahm den Lorbeerbaum;
Die Musen tanzten einen Tanz,
Und warfen ihm den ersten Lorbeerkranz
Um sein gelehrtes Haupt.
Die hohe Pappel, schön belaubt,
Erwählte Herkules; gelehnt auf seine Keule,
Sprach er: Ich leide keine Beile!

Cybele tritt herein, die Mutter aller Götter;
Die Götter neigten sich dem grüßenden Gesichte;
Sie spricht: Gebt mir den Baum, der ohne Blätter
Dem alten Winter trotzt, die immer grüne Fichte!

Komm her, du kleine Myrthe, komm her in meinen Schutz,
Sagt Venus, dich besinget Adonis, oder Uz!

Was aber sagt Minerva? Sie lächelt kleinen Spott,
Und sagt zum Zeus: Ich wähl' den Oelbaum, den kein Gott
Und keine Göttin wählte, der ist an Früchten reich.
Die unfruchtbaren Bäume, die, Götter, laß ich euch!

Da zankten sich die Götter, und Zeus entschied den Zank,
Umarmte seine Tochter, sang ihren Lobgesang.
Er sang, Apollo horchte, Minerva hat gewonnen,
Olympus mußte beben, und tanzen alle Sonnen!

Johann Wilhelm Ludwig Gleim

Samstag, 29. November 2008

… deine Fabeln in Ehren, Freund Gellert!

Ich brachte ihr zur Unterhaltung Bücher. Freilich waren es nur deutsche, die sich auftreiben ließen. Aber die schöne Lorenza wollte leben, nicht lesen. Sogar »Die schwedische Gräfin« wurde als barbarisches Produkt aus der Hand gelegt, und – deine Fabeln in Ehren, Freund Gellert! – ich konnte unserer sächsischen Landsmännin diesen Ungeschmack nicht übelnehmen

Louise von François (1817 – 1893)

Freitag, 28. November 2008

… die rechten Fabelschreiber

4. §. Doch wir müssen näher auf die rechten Fabelschreiber kommen. Unter den Persern ist Lockmann berühmt geworden, ja sein Ruhm ist bis nach Indien, Aegypten und Nubien gedrungen. Die heutigen Türken kennen ihn, und setzen ihn in Davids Zeiten: worinn sie sich aber, wenn er wirklich Aesopus gewesen seyn sollte, etwan um drey bis 400 Jahre irren. Man hat diese Fabeln auch in heutigen abendländischen Sprachen. Strabo erzählet, die Lehrer unter den Persern pflegten ihren Schülern die Sittenlehre in Erdichtungen vorzutragen. Cyrus, der Stifter ihrer Monarchie, erzählet beym Herodot den Gesandten der Ionier und Aeolier eine Fabel. Indessen ist sehr zu vermuthen, daß dieser Lockmann eben der phrygische Aesopus sey, den fast jedes Volk sich hat zueignen wollen. Die Araber geben vor, er sey von hebräischem Geschlechte gewesen; die Perser halten ihn für einen Aethiopier, welches denn die Etymologie des Namens Aesopus (AETHIOPS) zu bestätigen scheint. Sein Leben, welches Mircond beschrieben hat, kömmt sehr mit des Planudes Leben Aesops überein. Jenem, dem Lockmann, geben Engel die Weisheit; im Philostratus muß Mercur dem Aesop die Fabel eingeben. Kurz, die orientalischen Völker sagen, die Griechen hätten ihnen den Lockmann gestohlen, um ihren Aesop daraus zu bilden. Adam Olearius hat jenes Fabeln verdeutschet, und am Ende des persischen Rosenthals angehänget: Erpenius aber hat sie aus dem Arabischen ins Lateinische gebracht.

Johann Christoph Gottsched
Des I. Abschnitts II. Hauptstück.
Von äsopischen und sybaritischen Fabeln,
imgleichen von Erzählungen

Donnerstag, 27. November 2008

Die Natter und der Aal


Zu der Natter sprach der Aal:
Mein Geschick ist zu bedauren,
Weil auf mich fast allemal,
Nicht auf dich, die Leute lauren.
Ruh' und Unschuld schützt mich nicht,
Weil mir jeder Netze flicht.
Vetter, fiel die Natter ein,
Unschuld wird dich nicht befrein;
Aber ich kann Zähne weisen,
Deren Biß die Feinde scheun.

Friedrich von Hagedorn

Der Adler und die Eule


Als in Gesellschaft sich der alberne Philer,
Den einer Favoritinn Gunst erhöht,
Mit klügern Staatsbedienten maß,
Ergriff Hilarion ein Blatt, und las:

Der Adler Jupiters und Pallas Eule stritten.
»Abscheulich Nachtgespenst!« - »Bescheidner! will ich bitten;
Der Himmel häget mich und dich:
Was bist du also mehr, als ich?«
Der Adler sprach: Wahr ists, im Himmel sind wir beide,
Doch mit dem Unterscheide,
Ich durch eigenen Flug,
Wohin dich deine Göttinn trug.

Karl Wilhelm Ramler

Dienstag, 25. November 2008

Eros ist kein Gott …


Das Unerklärliche, das Dämonium der Liebe, haben die Menschen immer mit Furcht und Ehrfurcht empfunden. Jedes Volk hat seine Fabeln von Liebestränken und Liebeszaubern, und in dem großen Gespräch über die Liebe, das in Platons Gastmahl geführt ist, ist es schließlich Diotima, die Priesterin, deren Deutung des Eros anerkannt wird: »Eros ist kein Gott, er ist ein Dämon.«

Grete Meissel-Hess (1879 – 1929)
Aus: Die sexuelle Krise


Da die Wahrheit vor lauter Anbetungszeremonien in ihrer göttlichen Nacktheit nicht vor diesen thronisolierten Menschenseelen auftreten kann, so tut es not, daß sie im Gewand der Fabel wie den unschuldigen Kindern sich zeigt.

Bettina von Arnim
Aus: Dialoge (Dies Buch gehört dem König)

Sonntag, 23. November 2008

Herzenssünden

Ich sprach zur Taube: Flieg' und bring im Schnabel
Das Kraut mir heim, das Liebesmacht verleiht;
Am Ganges blüht's, im alten Land der Fabel.
Die Taube sprach: Es ist zu weit.

Ich sprach zum Adler: Spanne dein Gefieder,
Und für das Herz das kalt sich mir entzog,
Hol einen Funken mir vom Himmel nieder,
Der Adler sprach: Es ist zu hoch.

Da sprach zum Geier ich: Reiß aus dem Herzen
Den Namen mir, der drin gegraben steht,
Vergessen will ich lernen und verschmerzen.
Der Geier sprach: Es ist zu spät.

Ada Christen (1839 – 1901)

Gellerts Fabeln

Hundert Jahre später, als dem Franzosentum die ausschließliche Herrschaft in Kunst und Literatur gesichert schien, veröffentlichte Gellert seine Fabeln, die in ihrer treuherzigen Gesinnung, ihrem schalkhaften Humor und dem dahinter sich verbergenden sittlichen Ernst von so deutschem Gepräge sind als nur möglich.

Betty Paoli

Donnerstag, 20. November 2008

Aus einem sehr erklärlichen Misverständnisse…

Aus einem sehr erklärlichen Misverständnisse bey denen, die einer der Künste nur mächtig sich gern genügen wollten, entstand musikalische Poesie und poetische Musik, wenn aber etwas Poesie werden könnte, wäre es nicht Musik geworden, und umgekehrt. Diese beyden edlen Sinne des Geistes befinden sich dabey wie in der Fabel Storch und Fuchs bey gleicher Schüssel.

Achim von Arnim
Des Knaben WunderhornNachschrift an den Leser

Die Ratte und das Lampenlicht


Die Ratte war in der Nacht auf der Suche nach Nahrung unterwegs. Plötzlich hob sie die Schnauze und witterte. War da nicht ein gefährlicher Geruch in der Luft?
»Guten Abend, Frau Ratte«, ertönte eine schmeichelnde Stimme, »wie geht’s, wie steht’s?«
»Wer da?«, gab die Ratte kurz zurück.
»Ein Freund, ein guter Freund«, schmeichelte die Stimme weiter.
»Freund?«, zischte die Ratte. »Freunde riechen nicht so gefährlich.«
»Na, na, na. Das ist aber nicht nett. So etwas von einer so hübschen Dame zu hören.«
Die Ratte fühlte sich geschmeichelt, wollte aber die Vorsicht nicht aufgeben.
»Ich möchte den wohl sehen, der mir solche Komplimente macht.«
»Ja, da würde ich aber keinen guten Schnitt machen«, gab die Stimme zurück. »Mich neben ein so hübsches Ding zu stellen, macht mich ja noch hässlicher.«
»Ich werde schon nicht lachen«, antwortete die Ratte, halb vorsichtig und halb neugierig.
»Nun gut. Ich werde mich zeigen. Zuvor stellen Sie sich aber bitte dort unter die Lampe, dass Ihre Schönheit richtig zur Geltung kommt.«
Die Ratte huschte in das Licht der Straßenlaterne und blinzelte in die Richtung, aus der die Stimme kam. Sie hörte etwas rascheln und dann war auch schon der Fuchs über ihr und biss ihr das Leben aus.
»Wer im Dunkeln gut sehen will, darf sich nicht ins Helle stellen«, schmunzelte der Fuchs und ließ sich die Ratte gut schmecken.

Horst-Dieter Radke

Dienstag, 18. November 2008

Gottsched aber entgegnet…

Quelle: Wikipedia

Gottsched aber entgegnet: das sei ja eben das Preiswürdige bei der Sache! die Vernunft sei gottlob geläutert bei uns und die ausschweifende Einbildungskraft in ihre Schranken gewiesen; das habe den Fall Lohensteins bewirkt und dauerhafte Schönheiten dafür zuwege gebracht. Er spricht von den »Teufeleien des Tasso«, von den »abgeschmackten Hexereien des Shakespeare«, verwirft Oper und Kantate, »weil der Verstand dabei nichts zu denken habe«, er will, dass die tragische Schreibart stets »auf Stelzen, die komische barfuß gehe«, und weiß, in völliger Impotenz der Phantasie, die Fabel nur durch den lahmen Gelehrtenwitz zu retten, daß man voraussetzen müsse, die Bäume und Tiere, die da reden, hätten vielleicht in einer anderen Welt Verstand und Sprache. – Mit einem Wort: Bodmer verfocht volkstümlich die aufstrebende Gelehrtenrepublik; Gottsched den literarischen Absolutismus.

Joseph von Eichendorff
Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands
1. Teil

Montag, 17. November 2008

Nach dem Talmud

In alten Büchern stöbr ich gar zu gern,
Die neuen munden selten meinem Schnabel,
Ich bin schon alt, das Neue liegt mir fern.
Und manche Sage steigt, und manche Fabel
Verjüngt hervor aus längst vergeßnem Staube,
Von Ahasverus, von dem Bau zu Babel,
Von Weibertreu, verklärt in Witwenhaube,
Von Josua, und dann von Alexandern,
Den ich vor allen unerschöpflich glaube; …

Adalbert Chamisso

Sonntag, 16. November 2008

Wie die Moral nach der Fabel

Jetzt aber merke auf, denn nun erst kommt, wie die Moral nach der Fabel, dasjenige, was dir zu wissen nötig, um meine Existenz zu begreifen.

E.T.A. Hoffmann
Nachrichten von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza

Schlangen und Drachen


Große Schlangen wurden bei den Alten auch Drachen genannt. Aber wer dabei an geflügelte und feuerspeiende Untiere denkt, oder an sogenannte Basilisken, der denkt an eine Fabel. Und es ist nur so viel an der Sache, daß es in fremden Weltteilen auf den Bäumen Eidechsen gibt, die durch sogenannte Flughäute auf dem Rücken und am Hals, oder an den Seiten zwischen den vordern und hintern Beinen sich in der Luft schwebend erhalten und weite Sprünge machen können.

Johann Peter Hebel
Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreunds

Samstag, 15. November 2008

Die Eiche

Weil ich doch dabei bin, so will ich über die Brünette in einer Fabel weissagen. –
Eine kraftvolle, herrliche Eiche wächst in der Mitte von vielen andern gewöhnlichen Bäumen. Die Menschen kommen und wollen sich Hütten bauen, sie hauen die gewöhnlichen Bäume nieder, und keiner möchte gern die Eiche verlieren, so bauen sie denn rund um die Eiche schlechte, baufällige Hütten. Die Eiche, die sich durch inneres Leben weit und mächtig ausbreitet, wußte gar nichts von den Hütten und wächst ruhig fort; die Menschen aber glauben, es wäre recht schön, wenn sie die herumstrebenden Äste der Eiche in ihre Häuser hinein verbauten, damit sie doch in ihrem toten Holze einen grünen Zweig hätten; und so muß nun die arme Eiche in dunkle Stuben, feuchte Gewölbe etc. hineinwachsen – sie vertrauert leise, ohne es zu wissen, sie folgt dem angewiesnen Wege. Ihre Krone nur spielt noch in der freien Luft, die einzelnen Äste verdorren, und die Menschen bauen immer näher heran, sie lehnen Überhänge und Altanen auf die Zweige. Da wächst sie unter dem herrlichen Lobe: »O die gute, herrliche Eiche!« gegen alles ihr Streben; endlich drängt sich gewaltsam ihre Kraft empor, sie strebt mit allem ihrem Leben zwischen den engen Hütten hinauf, die Sonne blickt auf sie, sie blüht heftig im Winter, treibt Frucht und Blüte und Samen mit Gewalt nebeneinander in die Höhe; dies ist die einzige Minute ihres eignen Lebens, und die letzte. Alles bricht an ihr herunter, alle die leichten Werke, auf sie gestützt, zertrümmern, und die Hütten senken sich traurig gegen die Mitte, wo sie war.

Clemens Brentano
Godwin, Erster Band

Freitag, 14. November 2008

Und wie alle Wahrheit Fabel ist …

Quelle: Wikipedia

Und wie alle Wahrheit Fabel ist, das heißt Gottesverheißung in der körperlosen Geistigkeit der Idee, und wie alle Geschichte Symbolik ist, das heißt Gottessprache mit dem Menschengeist, um ihn auf die Wahrheit steuern zu lehren, so ist denn auch die Geschichte des Kolumbus ein göttlich Bereden und Berufen des Menschengeistes, seine Segel aufzuspannen und kühn auf jene Welt loszusteuern, die er, sich selber weissagend, sehnsüchtig erreichen möchte; – und die Fabel dieser wahrgewordnen Ahnung ist die Verheißung, daß auch der Menschengeist glücklich landen werde, wenn er seinem Mut vertraut, denn wie wollten wir den Mut wecken und erziehen in uns, vertrauten wir nicht der eingebornen Kraft – dem Genius.

Bettine von Arnim
Die Günderode, 2. Teil

Eine Fabel

(Kerner Haus in Weinsberg)

Frühling war's im Land geworden
Und der Winter ward vertagt.
Ohne daß den Herrenorden
Gott noch lange drum befragt.

Jenen packt des Zorn und Trauer,
Und er ruft: »Der Lenz gilt nicht!
Nimm ihn nicht, du dummer Bauer,
Er ist klares Höllenlicht.

Diese Sonne ungeladen
Dring' zu mir nicht frevelnd ein!«
Ruft's und schließt den Fensterladen,
Hüllt sich in die Wildschur ein.

Aber ruhig strahlt die Sonne,
Und es keimt die Saat mit Lust,
Bürger, Bauer dankt in Wonne
Gott dafür aus tiefer Brust.

Aber hinterm Ofen sitzen
Bleibt der Herr und schimpft und flucht:
»In der Wildschur will ich schwitzen,
Ich hab' keinen Lenz gesucht!«

Wütend mit den Füßen stampft er:
»Wer ihn lobt, ist schlecht und dumm!«
Und aus seiner Pfeife dampft er
Blauen Dunst um sich herum.

Doch der Bauer, schlicht und wacker,
Ruft: »O Herr! Ihr wißt es nicht!
Was schon längst gebrach dem Acker,
Das ist eben dieses Licht!

Will Euch dieses Licht nicht frommen,
Nun! so schließt vor ihm das Haus;
Aber, Herr! wem es willkommen,
Den laßt ungeschimpft hinaus!«
Justinius Kerner

Donnerstag, 13. November 2008

Eine Nebenfrage

Frage: Sage mir, mein Sohn, wohin kommt der, welcher liebt? In den Himmel oder in die Hölle?
Antwort: In den Himmel.
Fr.: Und der, welcher haßt?
Antw.: In die Hölle.
Fr.: Aber derjenige, welcher weder liebt noch haßt: wohin kommt der?
Antw.: Welcher weder liebt noch haßt?
Fr.: Ja! – Hast du die schöne Fabel vergessen?
Antw. Nein, mein Vater.
Fr.: Nun? Wohin kommt er?
Antw. Der kommt in die siebente, tiefste und unterste Hölle.

Heinrich von Kleist
Katechismus der Deutschen

Dienstag, 11. November 2008

Die Füchse


Zween Füchse, Sohn und Vater, schlichen,
Als kaum die Mitternacht verstrichen,
um ein entschlafnes Dorf herum,
Voll böser Absicht, leis’ und stumm.

Sie nahten eines Hofes Ställen,
Da hörten sie die Hunde bellen,
Die Thüren knarrn, die Hähne krähn,
Der alte Fuchs sprach: laß uns gehn,

Hier wird der Angriff nicht gelingen,
Daher sie sachte weiter gingen,
Drauf stellt ein and’rer Hof sich dar,
Darinnen alles stille war.

Nur hört der Sohn nicht ohne Schaudern
Viel Gänse mit einander plaudern.
Der Alte sprach: dies schadet nicht,
Hier bellt kein Hund, ich seh’ kein Licht.

Sich brachen ein mit gutem Glücke,
Und aßen sich in Gänsen dicke.

***

Nicht leicht droht Unfall einer Macht,
Darin der Pöbel schweigt, und die Regierung wacht.

Magnus Gottfried Lichtwer

Indirekte und direkte Fabeln

Fabeln also, welche den moralischen Satz in einem einzeln Falle des Gegenteils zur Intuition bringen, würde man vielleicht indirekte Fabeln sowie die andern direkte Fabeln nennen können.

Gotthold Ephraim Lessing
Abhandlung über die Fabel –
III. Von der Einteilung der Fabeln (S.88)


Sonntag, 9. November 2008

An den Leser


Ein junges Mädchen in Athen,
Kallikoete war ihr Nahme,
Trug Bluhmen feil: Narzissen, Tausendschön,
Jasmin und Nelken. Eine Dame
(Sie war histerisch) sprach zu ihr:
Was trägst du solchen Tand den Leuten vor die Thür?
Kaum bricht der Abend ein, so welken
Narzissen und Jasmin und Tausendschön und Nelken.
Gestrenge Frau, versetzt das arme Kind:
Der Käufer wird ja nicht von mir betrogen;
Ich sage nicht, daß sie unsterblich sind. -

So, Leser, denk’ ich auch von diesen Apologen.

Karl Wilhelm Ramler

Samstag, 8. November 2008

Schlange und Flöte


»Du musst tanzen, wenn ich erklinge!«, sprach die Flöte zur Schlange. »Du bist meine Sklavin.«
Die Schlange wiegte sich hin und her. »Was ist schlimm daran, wenn ich deine Musik in Bewegung verwandle und so nicht nur dem Ohr, sondern auch dem Auge etwas biete?«
»Du musst, wenn ich will«, entgegnete hämisch die Flöte.
Am Abend kroch die Schlange zur Flöte, die der Spieler achtlos auf die Decke gelegt hatte, und richtete sich auf.
»Siehst du«, sprach sie. »Ich kann auch tanzen ohne deine Musik. Wer will es mir verwehren?«
Die Flöte schaute die Schlange nur verächtlich an.
»Aber kannst du erklingen«, zischte die Schlange, »wenn der Spieler dich nicht bläst?«
Hilflos und stumm schaute die Flöte der tanzenden Schlange zu.

Horst-Dieter Radke

Freitag, 7. November 2008

Ulrich Boner

Gern möchte ich dem Leser dieser Fabeln recht viel von dem Verfasser derselben erzählen; aber, leider, vermag ich nur wenig zu sagen, und selbst dieses Wenige beruht größtentheils auf Vermuthung. Wüssten wir doch selbst seinen Nahmen nicht, wenn er sich nicht in der Vorrede und Schlussrede uns genannt hätt. Dass Bonerius ungefähr in der Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts schrieb, zeigt seine Sprache und die ganze Art seines Vortrages. Die Gründe, aus denen Lessing beweisen wollte, dass er in die zweyte Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts zu setzen sey, werden schwerlich jemand überzeugen, der nicht den Renner mit eben der Vorliebe ansieht, mit welcher Lessing ihn ansah. Man hat zwar auch aus den Sprüchen, die bey mehreren Gelegenheiten in diesen Fabeln vorkommen, und die wir jetzt im Frigedank lesen, schließen wollen, dass Bonerius in eine spätere Zeit gehöre als jene Sammlung. Richtiger wäre wohl der umgekehrte Schluss: Bonerius führt oft dergleichen Sprüchwörter an, die seit undenklicher Zeit im Munde des Volkes waren, aber er nennt niemahls einen Frigedank, der doch schon am Ende des dreyzehnten Jahrhunderts in solchem Ansehen stand, dass Hugo von Trimperg nie versäumte dem Denkspruche den hochverehrten Nahmen beyzusetzen; wahrscheinlich also wurde diese Sammlung est nach Bonerius Zeiten gemacht.

Was das Vaterland unseres Dichters betrifft, so scheint dieses die nordwestliche Schweiz gewesen zu seyn. Darauf deuten nicht nur verschiedene Eigenheiten seiner Sprache hin, so wie auch einzelne Wörter z.B. ziger, flu, u.m. sondern auch der Nahme seines Gönners Johan von Rinkenberg, …
Die Kenntniss der Lateinischen Sprache, durch welche Bonerius in den Stand gesetzt wurde seinen Stoff aus den Lateinischen Fabeldichtern zu nehmen, so wie auch die Lateinische Endung, die er seinem Nahmen gab, machen es höchstwahrscheinlich, dass er ein Geistlicher war; und die auf eigene Erfahrung hinweisende Bekanntschaft mit dem Klosterleben, so wie die Empfehlung desselben, lassen vermuthen, dass er ein Klostergeistlicher war, woher es denn auch kommt, dass er in der Schlussrede, so wie sie in ein paar Handschriften lautet, ein Ritter Gottes genannt wird. …
G.F.Benecke, 1816
Vorbemerkung zur Herausgabe der Fabeln von Bonerius
unter dem Titel: Der Edelstein

Donnerstag, 6. November 2008

Die Heyden waren durch die klugen Fabeln …

Die Heyden waren durch die klugen Fabeln ihrer Dichter an dergleichen Wiedersprüchen gewohnt; bis ihre Sophisten, wie unsere, solche als einen Vatermord verdammten, den man an den ersten Grundsätzen der menschlichen Erkenntnis begeht.

Johann Georg Hamann
aus: Sokratische Denkwürdigkeiten (1759)

Mittwoch, 5. November 2008

Es ist doch sonderbar …

Es ist doch sonderbar, entfuhr mir hierbei, daß die Griechen, das aufgeheiterte Volk, sich mit den Fabeln über die Gottheit so ernsthaft und zuweilen so abergläubisch grausam beschäftigen konnten, da sie, der vielen andern Weisen nicht zu gedenken, einen Anaxagoras hatten.

Wilhelm Heinse
aus: Ardinghello und die glücklichen Inseln

Sonntag, 2. November 2008

Der große und der kleine Hund, oder Packan und Alard


Ein kleiner Hund, der lange nichts gerochen
Und Hunger hatte, traf es nun
Und fand sich einen schönen Knochen
Und nagte herzlich dran, wie Hunde denn wohl tun.

Ein großer nahm sein wahr von fern:
»Der muß da was zum Besten haben,
Ich fresse auch dergleichen gern;
Will doch des Wegs einmal hintraben.«

Alard, der ihn des Weges kommen sah,
Fand es nicht ratsam, daß er weilte;
Und lief betrübt davon, und heulte,
Und seinen Knochen ließ er da.

Und Packan kam in vollem Lauf
Und fraß den ganzen Knochen auf.

Ende der Fabel

Matthias Claudius

Es ist schlimm genug …

Es ist schlimm genug, daß heut zu Tage die Wahrheit ihre Sache durch Fiktion, Romane und Fabeln führen lassen muß.

Georg Christoph Lichtenberg
aus: Sudelbuch

Samstag, 1. November 2008

Der ruhmsüchtige Bär

Foto: Jeremias Radke

Ein auf die Ehr’ erpichter Bär

Saß in dem Schnee bei einem Strauch

Und dacht’: »Ei, wüßt’s die Nachwelt auch,

Wie groß mein Leib gewesen wär’,

Ich würde selbst nach meinem Sterben

Bei solcher Dank und Ruhm erwerben.«


Er sprach darüber seine Jungen

Und sagt’: »Ich sehe mich gezwungen,

Dass ich den großen Körper messe,

Damit ich dessen seltne Größe

Der Nachwelt so für Augen lege,

Dass sie es deutlich fassen möge.«



Bald fielen ihm die Jungen bei

Und schwuren: »Ja, bei unsrer Treu’,

Wir sahen auch schon viele Bären;

Jedoch es wird noch lange währen,

Eh dass in unserm Königreiche

Sich einer dir an Größe gleiche;

Deswegen sei darauf beflissen,

Dass es die späten Enkel wissen.«



Der Alte dacht’ jetzt allgemach

Dem edeln Unternehmen nach

Und rief, als er’s zuletzt erfunden,

Indem die Kinder um ihn stunden:

»Führwahr, es haben Kunst und Witz

In meinem Körper ihren Sitz.«


Stracks leget er sich in den Schnee,

Er streckt die Pfoten in die Höh’

Und heißt die Kleinen auf ihn treten;

Dann sagt er: »Jetzo will ich wetten,

So sieht man Haut, so sieht man Haar,

Zusammt der Größe sonnenklar.


Kein Fürst hat noch in seinem Schild

Von einem Bär ein schöners Bild.«


Ein jeder von den Jungen preist

Des alten Bären feinen Geist,

Indem den Abdruck sie betrachten

Und ihn des Urbilds würdig achten.

Ein jeder spricht: »Es ist geraten;

Fürwahr, der Alte hat’s erraten.«


Sie dachten alle nicht so weit,

Dass dieses Werk trotz seiner Würde,

Trotz aller seiner Ähnlichkeit

Im nächsten Schnee vergehen würde,

Der wirklich noch denselben Tag

Schon auf des Bären Kunststück lag.


Johann Ludwig Meyer von Knonau